Gedenkbuch

Lindemeyer, Frieda

geb. Lewinsky (Lewinski)

Frieda Lewinsky wurde am 24. Juni 1893 in Berlin geboren. Ihr Vater war der Berliner Rechtsanwalt Arnold Lewinsky (1856-1917). Ihre Mutter hieß Hedwig, geborene Coehn. Frieda hatte noch vier Geschwister: Hanni (geboren 1890), Bertha (geboren 1897), Erna und Paul (geboren 1903).
Frieda Lewinsky verließ 1909 die Schule und besuchte ein Jahr eine Schule in der Schweiz. Sie absolvierte einen einjährigen Handelskursus und arbeitete danach im Büro ihres Vaters. Sie sprach französisch und englisch.

Am 5. August 1915 heiratete sie in Berlin den Rechtsanwalt Dr. Georg Lindemeyer. Ihr Mann war am 5. August 1887 in (Wuppertal-)Elberfeld) als Sohn des Kaufmanns Moritz Lindemeyer und seiner Frau Mathilde zur Welt gekommen. Sein Vater Moritz Lindemeyer verstarb 1892 im Alter von 53 Jahren und Georgs Mutter Mathilde heiratete den Geschäftspartner ihres Mannes, Georg Hobbie. Sie ließ sich und auch ihren Sohn Georg anlässlich der Hochzeit evangelisch taufen.

Nach der Hochzeit mit dem evangelischen Georg Lindemeyer ließ sich auch Frieda Lindemeyer taufen. Am 21. März 1917 wurde ihre Tochter Eva-Maria in Düsseldorf geboren. Am 27. April 1919 folgte die Tochter Edith. Der Sohn Wolfgang kam schließlich als letztes Kind am 26. Dezember 1922 in Düsseldorf zur Welt. Die Familie Lindemeyer wohnte von 1922 bis 1933 im eigenen Haus in der Salierstraße 4 in Düsseldorf-Oberkassel.

In der NS-Zeit wurde die Familie Lindemeyer als Christen jüdischer Abstammung von den Nationalsozialisten verfolgt. Auch die drei gemeinsamen Kinder: Eva Marie, Edith und Wolfgang wurden evangelisch erzogen und gehörten zur Gemeinde der Auferstehungskirche an der Arnulfstraße.
Ihr Mann Dr. Georg Lindemeyer war seit dem 12. Januar 1915 am Amts- und Landgericht Düsseldorf als Anwalt mit Kanzlei in der Bismarckstraße 39 zugelassen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde ihm im April 1933 ein Vertretungsverbot erteilt und er wurde am 5. Juli 1933 aus der Anwaltsliste gelöscht. Den Lebensunterhalt der Familie konnte ihr Mann vorerst mit Nachhilfestunden in Fremdsprachen, Geschichte und Philosophie und der juristischen Vertretung einer Düsseldorfer Kohlefirma bis Mitte der 1930er Jahre erwirtschaften.

Im Jahr 1935 wurde die finanzielle Situation der Familie immer prekärer. Das Haus in der Salierstraße hatten sie schon verlassen müssen. Sie wohnten mittlerweile in einer Wohnung in der Cranachstraße 8. 1937 zogen sie in das Haus Yorkstraße 42. Frieda Lindemeyer begann für die Düsseldorfer Firma Steinhaus zu arbeiten. Sie verkaufte Waren aus dem Großhandel für Reinigungsprodukte an Freunde und Bekannte. Ihr Sohn Wolfgang fuhr die Waren dann mit dem Fahrrad aus. Später verkaufte Frieda Lindemeyer zusammen mit ihrem Mann mit ähnlichem System auch Süßwaren der jüdischen Süßwaren-Großhandlung Adler.

Im Laufe der Jahre 1937 bis 1939 brach die Familie auseinander. Als sie Arbeit in England fand und so die Einreisegenehmigung erhielt, verließ Tochter Edith die Familie, dann wurde Sohn Wolfgang an einem englischen Internat angenommen. Von den Überfällen im Zuge des Pogroms 1938 war die Familie Lindemeyer nicht betroffen. Aber ihre Tochter Eva-Maria, die zu diesem Zeitpunkt im Büro der jüdischen Rechtsanwälte Josef Neuberger und Max Mendel gearbeitet hatte, wurde Augenzeugin der dortigen Verwüstungen. In einem Brief an Edith schrieben Frieda, Georg und Eva-Maria am 30. November 1938: „Aber Du kannst Dich ganz fest darauf verlassen, dass es uns Dreien gut geht und bei uns alles unverändert ist. Du musst es mir schon glauben, wenn ich Dir das ganz fest versichere!“ Und Georg Lindemeyer ergänzte: „Auch ich möchte Dir versichern, dass bei uns alles in Ordnung ist.“ Kurz danach reisten die drei zu Friedas Schwester Bertha Mayer nach Berlin. Dort versuchten sie über verschiedene Kontakte die Auswanderung von Eva-Maria und ihnen selbst in die Wege zu leiten. Sie schrieben Edith am 15. Dezember 1938 aus Berlin darüber: „Wir sind von morgens bis abends unterwegs, haben mit unzähligen Menschen Fühlung bekommen, aber Aussicht auf Erfolg ist noch keine vorhanden.“

Im Mai 1939 konnte die Tochter Eva-Maria ihren Geschwistern nach England folgen – die Eltern drängend, möglichst bald zu folgen. Doch alle Auswanderungsversuche von Frieda Lindemeyer und ihrem Mann scheiterten mit dem Kriegsbeginn im September 1939. In den Tagen kurz vor dem Kriegsbeginn waren Frieda und Georg Lindemeyer zu Bertha Mayer nach Berlin gefahren. Am 21. Oktober 1939 schrieben die beiden an ihre drei Kinder: „Wir sind seit Ende September wieder hier und haben zum 1. November zwei Zimmer an ein altes Ehepaar vermietet. Wir kommen schon irgendwie durch und hoffen mit Euch, dass wir uns in nicht zu ferner Zeit gesund und froh wiedersehen!“

Die nächsten Jahre wohnte Frieda und Georg Lindemeyer weiterhin im Haus Yorckstraße 42. Am 2. Februar 1941 schrieben sie an Eva-Maria: „Großmutter geht es noch recht gut. Donnerstag war ich bei ihr und war erstaunt, wie gut sie noch aussieht mit ihren 80 Jahren. Von Tante Bertha haben wir auch ganz gute Nachrichten, leider haben sie schon ca. eineinhalb Jahre von Peter überhaupt nichts gehört, auch von Günther weiß niemand etwas.“

Am 8. November 1941 schrieb Frieda Lindemeyer an ihre Kinder: „Nun ist alles anders geworden. Morgen müssen wir unter grausamsten Bedingungen unser altes Heim verlassen und werden in die Fremde getrieben. Unser Ziel soll Minsk sein. Nun müssen wir alles verlassen, was uns lieb war und ohne einen Pfennig in die Fremde gehen. In unserem Alter wirklich keine Kleinigkeit. Nach schweren inneren Kämpfen habe ich mich entschlossen, Vati nicht allein zu lassen, obgleich ich doch so gern schlafen gehen würde, wenn ich wüsste, dass mir kein Wiedersehen mit Euch mehr beschieden ist. Ich will versuchen durchzuhalten und bete zu Gott, dass er mir die Kraft gibt, all das Schreckliche zu ertragen, was Er uns schickt. (…) Wenn Ilse Peters noch lebt, ehrt sie immer, sie war mir die beste Freundin. Der Herr segne und behüte Euch!“ Am nächsten Tag mussten Frieda und Georg Lindemeyer sich zur Sammelstelle am Schlachthof in Derendorf begeben. Dort verbrachten sie mit den weiteren fast eintausend Menschen die Nacht. Am 10. November 1941 wurden alle vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf in das Ghetto von Minsk deportiert. Frieda und Georg Lindemeyer haben nicht überlebt.

Am 10. April 1946 schrieb Ilse Peters aus Düsseldorf an Eva-Maria Lindemeyer: „Sie fragen, warum die Eltern nicht geflohen sind. Ach, das war ja fast unmöglich gemacht, auf raffinierte Weise: Seit 1941 mussten alle Juden den Davidstern tragen. Ein Ehrenzeichen eigentlich! Aber damit eine furchtbare Grausamkeit. Musste doch jeder, der mit einem Juden sprach, mit Denunziationen und schwerer Strafe rechnen. (…) Der Judenstern also machte jedes Verstecken sehr schwer. Ihre arme liebe Mutter ist seitdem kaum mehr auf die Straße gegangen. (…) Dazu durften Juden nicht ohne besondere Erlaubnis verreisen. Das war Ihrem Vater in den letzten Wochen so hart, weil seine Mutter krank war, und die Umständlichkeiten, mit denen er die Erlaubnis zur Reise nach Elberfeld sich verschaffen musste, so demütigend für ihn waren. (…)

 Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf