Lippmann, Alwin
Alwin Lippmann kam am 22. Januar 1892 in Düsseldorf als Sohn des Kaufmannes Friedrich Lippmann und dessen Frau Johanna, geborene Vogelsang, zur Welt. In seinen Militärunterlagen werden als Eltern allerdings Friedrich Lippmann und Martha Hofmann angegeben. Ein Detail, dass später in seinem Leben noch einmal eine Rolle spielen sollte.
Der noch ledige Alwin Lippmann kämpfte als Soldat im Ersten Weltkrieg. Zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns 1914 wohnte er in München. Er kämpfte in der 4. Kompagnie des bayrischen Reserve-Infanterieregiments 19. Im Jahr 1917 musste er wegen Verwundungen in Krefeld im Lazarett und später in den Städtischen Krankenanstalten behandelt werden. Am 23. März 1917 wurde er mit dem Eisernen Kreuz Zweiter Klasse ausgezeichnet. Seit 1917 war er im Rang eines Leutnants.
Nach Kriegsende arbeitete Alwin Lippmann in Düsseldorf als Kaufmann. Er war seit 1919 Mitinhaber der Metallverarbeitungsfirma Vogelsang in Düsseldorf. Alwin Lippmann gehörte 1919 zu den Gründern der Düsseldorfer Ortsgruppe des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten. Der Düsseldorfer Stadt-Anzeiger berichtete in seiner Ausgabe vom 25. März 1929 über das 10-jährige Bestehen des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten in Düsseldorf. Er zitierte Alwin Lippmann mit den Worten: „Als wir im Jahre 1919 den Reichsbund gründeten, wollten wir keine Trennungsmauer errichten zwischen uns und den anderen Kameraden. Sondern aus der Not geboren kam dieser Zusammenschluß, denn es galt abzuwehren ein Wahngebilde des Hasses, es galt mit allen Mitteln zu bekämpfen die Lüge: Daß die Juden im Kriege ihre Pflicht nicht erfüllt, daß der jüdische Soldat an der Front versagt hätte. Es galt, unsere Ehre und vor allem die Ehre unserer toten Kameraden, die sich selbst nicht mehr rechtfertigen konnten, vor diesen Beschimpfungen zu beschützen und zu bewahren.“ Die Geschäftsadresse der RJF in Düsseldorf war in der Grafenberger Allee 249.
Am 2. Dezember 1921 heiratete Alwin Lippmann in Werne Rosa Cahn. Seine Frau war am 30. Oktober 1901 in Weitmar bei Bochum zur Welt gekommen. Nach der Hochzeit wohnte das Paar zusammen in Düsseldorf in der Steinstraße 66. Am 12. Oktober 1922 wurde seine Tochter Hannelore geboren. 1924 gründete er mit seiner Frau die Offene Handelsgesellschaft „A. Lippmann & Co.“, Grundstücksmakler, mit Sitz in Düsseldorf auf der Kreuzstraße 69. Am 14. März 1926 kam seine Tochter Inge zur Welt.
Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Alltag der Familie immer schwieriger. Alwin Lippmann engagierte sich stark in der Jüdischen Gemeinde und auch nach 1933 im Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten. Er war auch Vorsitzender der Sportabteilung „SCHILD“ des RJF in Düsseldorf. Ob seine Töchter im SCHILD aktiv Sport betrieben, wissen wir leider nicht.
Am 11. August 1938 zog Alwin Lippmann mit seiner Familie von der Charlottenstraße 36 in die Grafenberger Allee 88. Dort erlitten sie vermutlich die Überfälle auf jüdische Wohnungen während des Novemberpogroms 1938. Am 13. Dezember 1938 zog Alwin Lippmann mit seiner Familie nach Werne. Dort wohnen sie zunächst in der Bonenstraße 20. Am 6. Februar 1939 zogen sie in die Steinstraße 33. Seine Tochter Hannelore meldete sich von dort als „Haustochter“ am 18. September 1939 nach Düsseldorf in die Harleßstraße 8 ab. Dort wohnte ihre Großmutter Helene Cahn, geborene Gumpert (28. Juli 1869 Werne an der Lippe – 21. September 1942 Treblinka).
Am 12. Januar 1940 meldete sich Alwin Lippmann nach Dortmund ab. Er zog mit seiner Frau und der jüngeren Tochter in das Haus Westenhellweg 91/93. Später war ihre Adresse Königswall 46. Am 27. April 1942 wurden Alwin Lippmann und seine Frau Rosel und die beiden Töchter Hannelore und Inge von der Gestapo aus der Wohnung geholt. Am nächsten Tag wurden sie in die Turnhalle des Sportvereins „Eintracht“ in Dortmund gebracht. Am 30. April 1940 wurde die vier mit weiteren Dortmunder Juden in das Ghetto Zamość deportiert. Im Ghetto von Zamość wurde Alwin Lippmann zum Kommandeur des jüdischen Ordnungsdienstes bestimmt, den er neu organisierte. Lippmann wurde von dem polnischen Judenratsvorsitzenden Mendel Garfinkiel als ungewöhnlich dynamische und kraftvolle Persönlichkeit geschildert. Er habe es verhindert, dass in den Ordnungsdienst Spitzel der Gestapo eingeschleust wurden. Die deutsche Verwaltung habe großen Respekt vor ihm gehabt. Einmal sei es ihm gelungen, alleine nach Lublin zu fahren und mit einem ganzen Eisenbahnwaggon voller Lebensmittel zurückzukommen.
Nach der Auflösung des Ghettos am 16. Oktober 1942 wurden alle Juden aus Zamość in das 21 Kilometer entfernte Dorf Izbica getrieben. Von dort wurde die meisten in die Vernichtungslager nach Bełżec oder Sobibór deportiert und ermordet.
Alwin Lippmann konnte aus Izbica fliehen. Er schlug sich nach Stryj durch. Dort wurde er verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Dort saß er mit dem polnischen Juden Thomas Blatt in einer Zelle. Auf Anraten eines weiteren Häftlings, einem jungen Anwalt, schrieb Lippmann einen Brief an die Kanzlei des Generalgouvernements, in dem er sich auf seine Kriegsverdienste sowie den Umstand, dass nur sein Vater Jude sei, berief. Bevor die Kanzlei des Generalgouvernements die Angaben Lippmanns bestätigen ließ, wurde er aus dem Gefängnis entlassen und zum Direktor der Gasanstalt in Stryj ernannt.
Alwin Lippmann musste in der Folgezeit Zwangsarbeit leisten und arbeitete bei den Karparthen-Oel-Werken in Stryj. Der Holocaust-Überlebende Thomas Blatt berichtete über eine Begegnung mit Alwin Lippmann im März 1943 in den Straßen des Ghettos von Stryj. Bei dieser Gelegenheit erzählte Lippmann seinem ehemaligen Zellenkameraden, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen war und dass er immer wieder heimlich ins Ghetto kam, weil er es nicht aushielt, die ganze Zeit mit den deutschen »Schlächtern« zusammen zu sein. Offensichtlich hoffte er auch, seine Frau und Kinder zu finden.
Am 2. April 1943 wurde in seiner Düsseldorfer Gestapoakte vermerkt: „Hat sich bei der Reg. des Gen. Gouvernements als Mischling I. Grades ausgegeben, um weiter arbeiten zu können.“ In seiner Gestapoakte war bereits am 25. März 1943 die Mitteilung des Düsseldorfer Standesamt Mitte mit den Informationen seiner Geburtsurkunde Alwin Lippmann vermerkt worden. Der Bearbeiter SS-Rottenführers Gestermann kam zu dem Schluß: „Eltern beides Juden: Friedrich und Johanna Lippmann, geb. Vogelsang“. Demnach sei Alwin Lippmann ein „Volljude“.
Nach der Meldung des Sachverhaltes durch die Düsseldorfer Gestapo wurde Alwin Lippmann erneut verhaftet und nach Lemberg gebracht. Von Lemberg kam er in das KZ Plaszow. Von dort kam er in das KZ Mauthausen. Er traf mit einem Transport am 10. August 1944 ein, erhielt die Häftlingsnummer 88547, wurde — offensichtlich bereits in schlechtem Gesundheitszustand — in das Sanitätslager des KZ Mauthausen verbracht. Am 24. August 1944 wurde Alwin Lippmann in das Konzentrationslager Auschwitz überstellt und vermutlich unmittelbar nach seiner Ankunft ermordet.