Schunka-Horn, Hans Klaus
Hans Klaus Schunka-Horn kam am 13. Januar 1925 in Düsseldorf zur Welt. Seine Mutter Helene Horn war am 14. Dezember 1892 als erstes Kind von Moritz Moses und Henriette Horn, geborene Meyer, in Köln zur Welt gekommen. Sie hatte eine Ausbildung zur Stenotypistin absolviert und unterhielt ein kleines Büro für Schreibarbeiten. Anfang der 1920er Jahre hatte seine Mutter den Kaufmann Hermann Heinrich Schunka kennengelernt. Er war zunächst Mitinhaber des Möbelgeschäfts „Jäkel & Co“ auf der Grafenberger Allee 43 in Düsseldorf. Im Jahr 1923 hatte er mit dem Duisburger Kaufmann Paul Herman das Handelsgeschäft für Bergwerks- Hütten- und Industriebedarf „Hermann & Co“ gegründet und führte die Düsseldorfer Niederlassung in der Hermannstraße 17. Dort hatten sich seine Eltern kennengelernt, denn seine Mutter wohnte in der Hermannstraße 17 seit dem 1. März 1920. Offiziell heirateten seine Eltern jedoch nicht. Klaus wurde im evangelischen Glauben erzogen, da sein Vater auch evangelisch war. Die Familie wohnte weiterhin in der Hermannstraße 17.
Im Jahr 1926 fand in Düsseldorf die große Messe für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen statt. Bei einem Besuch auf der Gesolei infizierte sich sein Vater und wurde zum Pflegefall. Seine Mutter stellte den Sachverhalt später so da: „Der Vater meines Jungen bekam auf der Gesolei am 26. September 1926 einen giftigen Fliegenstich an der rechten Hand und hat bis zu seinem am 10. August 1932 erfolgten Tode dauernd im Bett gelegen. Ich habe durch Tag- und Nachtarbeit für ihn und das Kind den Lebensunterhalt und alle Arzt- und Krankenhauskosten auf der Schreibmaschine verdient.“
Als Klaus fünf Jahre alt war, änderte seine Mutter ihren Nachnamen in „Schunka-Horn“. Am 10. August 1932 verstarb sein Vater in Düsseldorf. Am 15. Juli 1933 zog der achtjährige Klaus mit seiner Mutter in das Haus Beethovenstraße 8. Das Haus gehörte ihrer Familie und später seiner Mutter persönlich. Mit im Haus wohnte auch sein Onkel Karl Horn, der als Arzt arbeitete. Am 1. August 1934 zog er nach Wiesbaden, wo Klaus Großeltern Moritz und Henriette Horn lebten. Klaus und seine Mutter blieben in Düsseldorf. In der Folgezeit emigrierten alle seine vier mütterlichen Onkel mit ihren Familien in die Vereinigten Staaten. Seine Großeltern blieben in Wiesbaden.
Am 9. November 1938 wurden der 13-jährige Klaus und seine Mutter von Nazi-Schläger überfallen. Die gesamte Wohnungseinrichtung wurde demoliert. Am 11. November 1938 schrieb seine Mutter nach Amerika: „Düsseldorf, Abends 6 Uhr, An alle drei Brüder in Amerika, In der Nacht vom 9./10. November ist ein Rollkommando SA Leute in unser Haus & in die Wohnungen eingebrochen und hat uns beide, das Kind und mich, bettelarm gemacht. Wir haben weder ein Glas noch eine Tasse, keinen Teller, keinen Stuhl, keinen Tisch, Schreibtisch, Sessel, Stühle, Kommode, Bett, alles kurz und klein geschlagen. Wäsche, Leinen, Decken, Bettzeug, B mit Scheiben alles durchstochen, eingeritzt, durchschlitzt, Anzüge und einen neuen Überzieher von Klausi sechsmal durchschnitten. Bilder ohne Glas durchstochen. Gardinen und Vorhänge von den Fenstern gerissen. Marmorplatten von der Kommode und den Nachttischen restlos zertrümmert. Gestohlen hat man mir eine Monatsamortisation der 1. Hypothek von RM 150, meine goldene Armbanduhr, den Photoapparat von Dag, ein 20 RM Stück, eine Nadel von Fritz. Alles, was noch da ist, ist restlos entzwei. In unserem Viertel war es am allerschlimmsten. Im Keller hat man 30 Flaschen Wein gestohlen, und teils ausgeleert & zwar über meine Schreibmaschine, die total entzwei ist. In Wiesbaden, wohin ich telegrafiert und telefoniert habe, ist nichts passiert. Was weiter kommt, weiss ich nicht. In anderen Häusern hat man Flügel, Klaviere und alles Hausrat auf die Straße geworfen, aus den Etagen heraus. Die Synagoge brennt seit Tagen. Wenn Ihr es nur eben könnt, schickt uns etwas, ich weiss, mit Registermark könnt Ihr billig Geld kaufen, mir wird es hier voll ausbezahlt.
Wir sind vollständig verzweifelt, soeben schreibt das Abendblatt, dass wir ab 1.1. nicht mehr arbeiten dürfen und 1 Milliarde RM bezahlen müssen.
Antwortet bald Eurer unglücklichen Lene!“
Im September 1939 wurde bei einer Hausdurchsuchung ein Radio in ihrer Wohnung gefunden und beschlagnahmt. Seine Mutter protestierte dagegen in einem Brief vom 24. September an die Geheime Staatspolizei. Sie erklärte darin, dass das Radio Klaus gehöre und dieser ja kein Jude sei. Das Radio hätte ihre Schwägerin aus Amerika, die im Dezember 1938 zu Besuch bei ihren Eltern in Wiesbaden gewesen sei, finanziert. Seine Mutter schrieb weiter: „Mein Junge ist sehr musikalisch, er hat sonst keinerlei Freunde oder Kameraden und hat jede freie Minute an dem Apparat verbracht.“ Und „bitte ich höflichst, dass uns der Apparat wieder zu Verfügung gestellt wird.“ Doch die Gestapo wies ihre Bitte am 29. September 1939 ab, da ja nicht ausgeschlossen werden könnte, dass auch Helene Schunka-Horn das Radio nutzen könnte. Und die Schikane gegen seine Mutter ging weiter. Am 7. Oktober 1939 vermerkte der Führer des SD Abschnitts Düsseldorf in einem Schreiben an die Gestapo über sie: „Es wird hier gemeldet, dass die Obengenannte geflissentlich ihre jüdische Abstammung verschweigt (…) Da die Verhältnisse ziemlich unklar sind, wird es als erforderlich erachtet, diese durch eine staatspolizeiliche Vernehmung zu klären.“ Seine Mutter musste daraufhin am 18. Oktober 1939 bei der Gestapozentrale in der Prinz-Georg-Straße vorstellig werden. Sicherlich waren sie und der 14-jährige Kaus darüber in heller Aufregung, denn man wusste schon zu diesem Zeitpunkt von Verhaftungen, wenn man zur Gestapo geladen wurde.
Klaus begann im Jahr 1939 eine Lehre zum Schweißer beim Autogenwerk Sirius. Dazu musste er jeden Tag von der Beethovenstraße zur Schlossstraße 48. Zu Fuß schaffte er die Strecke sicherlich in 25 Minuten. Ob er noch ein Fahrrad besaß, ist leider nicht bekannt. Als „Mischling Ersten Grades“ war es zu dieser Zeit nicht so einfach, eine Lehrstelle zu finden. Möglicherweise war der Kontakt für die Lehrstelle über den Geschäftsführer Dr. Friedrich Maase zustande gekommen. Er hatte bis September 1933 als Rechtsanwalt gearbeitet und war dann wegen seiner SPD-Mitgliedschaft aus der Anwaltskammer ausgeschlossen worden. Seit dem Jahr 1934 war er Geschäftsführer bei dem Autogenwerk Sirius. Seine nazifeindliche Einstellung war durchaus bekannt, vom 5. September 1939 bis zum 9. November 1940 wurde Dr. Maase verhaftet und in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Flossenbürg festgehalten.
Am 5. November 1939 verstarb in Wiesbaden sein schwer kranker Großvater. Seine Großmutter Henriette Horn emigrierte am 3. April 1940 aus Wiesbaden zu ihren Söhnen in die USA. Nun waren Klaus und seine Mutter in Nazi-Deutschland ganz allein. Sie planten langfristig auch nach Amerika zu emigrieren, aber es war natürlich sehr schwer, alle Genehmigungen und Reisepapiere zu erhalten.
Im Juni 1941 wurde seine Mutter wieder denunziert. Die Gestapo schrieb am 3. Juni 1941: „Es wurde bekannt, dass die Jüdin Horn (…) noch einen Fernsprechanschluss hat. (…) Sie hat ein Kind im Alter von 16 Jahren (…) Schunka war deutschblütig (…) Da das Kind bei der Geburt evangelisch getauft wurde, gilt es als Mischling 1. Grades und wird nicht dem Judentum zugerechnet. Der bestehende Fernsprechanschluss wird gekündigt. In Verlaufe der weiteren Feststellungen ergab sich, dass die Jüdin Horn für verschiedene Düsseldorfer Rechtsanwälte und Notare schriftliche Arbeiten als Heimarbeit verrichtet (…) Aus diesem Grunde wurde ihr aufgegeben, sich zum jüdischen Arbeitseinsatz zu melden…und auf den Namen Klaus Schunka-Horn lautende Gewerbe sofort abzumelden.“ Seine Mutter antwortete am selben Tag in einem Schreiben an die Gestapo: „…mein Junge ist Schlosser- und Schweisserlehrling im dritten Lehrjahre im Autogenwerk Sirius und bringt wöchentlich 8 bis 10 RM mit nach Hause. Zu seiner Ausbildung besucht er die Fachschule in der Charlottenstraße an 3 Abenden der Woche. Ich könnte das Kind, der doch nach seinem verstorbenen Vater Mischling ersten Grades ist, weder ernähren noch kleiden, wenn ich mein Gewerbe nicht mehr ausüben dürfte. Wir zwei stehen in Europa ganz alleine. 4 Brüder, 4 Schwägerinnen und meine Mutter sind in New York, wohin wir nach Kriegsschluss ebenfalls auswandern wollen. (…) Ich habe drei Brüder kriegsfreiwillig im Weltkrieg gehabt…der letztere erhielt als Maschinengewehrschütze in Cambrai das EK. II. Unter Berücksichtigung alles dessen spreche ich die herzliche Bitte aus, doch unser Lebensschicksal wohlwollend zu berücksichtigen und mir die Möglichkeit zu geben, den Jungen und mich durch meiner Hände Arbeit wenigstens so lange ernähren zu dürfen, bis wir entweder auswandern können, oder aber, bis das Kind seine Lehre aus hat.“ Doch der Gestapobeamte Georg Pütz war keineswegs wohlwollend, sondern hielt sofort ein zweites „Vergehen“ fest: „5. Juni 1941 Vermerk. Wegen Verstoßes gegen die Kennkartenbestimmung wurde die Jüdin Horn ernstlich belehrt und gewarnt (Kennort und Kennnummer nicht angegeben).“
Im Juni 1941 wurde seine Mutter im Rahmen des „geschlossenen jüdischen Arbeitseinsatzes“ zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie musste in der Blechwarenfabrik Fischer AG in Oberkassel auf der Prinzenallee 21 arbeiten. Am 17. November 1941 stellte seine Mutter einen Antrag zur Befreiung vom Tragen des „Judensterns“. Doch er wurde am 21. Januar 1942 offiziell abgelehnt. Anfang Juni 1942 wurde seine Mutter darüber informiert, dass sie am 15. Juni 1942 deportiert werden solle. Klaus hätte in Düsseldorf bleiben können. Da die beiden aber nicht getrennt werden wollten, trat Klaus am 12. Juni 1942 offiziell zum Judentum über. Seine Mutter sagte darüber: „Wir wollen, solange es eben geht, zusammenbleiben, aus diesem Grunde nehmen wir gemeinsam an dem Judentransport teil.“ So wurden die Beiden am 15. Juni 1942 vom Düsseldorfer Güterbahnhof Derendorf deportiert. Sie gehörten zu den 154 Juden aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf, die in den Gesamttransport eingereiht wurden. Vermutlich wurden fast alle 1003 Deportierten im Vernichtungslager Majdanek oder Sobibor ermordet.