Gedenkbuch

Ruschkewitz, Ruth

geb. Eichenberg

Am 9. Februar 1911 kam Ruth Eichenberg in Düsseldorf zur Welt. Ihre Eltern Albert und Johanette Eichenberg, geborene Nathan, hatten am 18. Februar 1910 geheiratet. Ruths Vater Albert Eichenberg (1861-1922) war in erster Ehe bereits verheiratet gewesen: Seine Frau Fridolina, geborene Kaufmann, verstarb 1908 kurz nach der Geburt des zweiten Kindes. So hatte Ruth zwei Halbgeschwister: Eleonore (geboren 1902) und Hans Gerhard (geboren 1908).

Ihr Vater führte in Düsseldorf das Getreide Import Geschäft „Eichenberg & Lazarus“. Zusammen mit Alfred Lazarus in Arnsberg unterhielt er die Firma. In den 1920er Jahren befand sich die Firma  in der Steinstraße 65. Ihr Vater Albert Eichenberg verstarb am 2. Mai 1922 in Düsseldorf wenige Tage vor seinem 61. Geburtstag. Zu diesem Zeitpunkt wohnte Ruth Eichenberg bereits in der Oststraße 150. Ihr Vater wurde auf dem neuen jüdischen Friedhof begraben. In der Todesanzeige sowie im Düsseldorfer Adressbuch wurde der Vorname ihrer Mutter mit „Hansel“ angegeben. Vermutlich wurde ihre Mutter so auch im Familien- und Freundeskreis genannt. 

Nach dem Tod ihres Vaters wurde dessen jüngerer Bruder Harry Eichenberg (1881-1943) Teilhaber der Firma „Eichenberg & Lazarus“. Die Firma hatte 1929 ihre Geschäftsräume am Wilhelmplatz 10 direkt am Hauptbahnhof.

Ruth Eichenberg heiratete am 26. Dezember 1933 den Würzburger Ernst Ruschkewitz. Ihr Mann war dort am 5. November 1903 zur Welt gekommen. Nach der Hochzeit zog sie zu ihm nach Würzburg. Dort wohnten auch ihre Schwiegereltern Siegmund und Mina Ruschkewitz. Ihr Schwiegervater hatte eine Warenhauskette in Würzburg und Umgebung aufgebaut. Die Familie Ruschkewitz war in Würzburg sehr bekannt. Das Warenhaus befand sich in der Schönbornstraße 3. Ihr Mann Ernst arbeitete zunächst für seinen Vater und wurde dann Geschäftsführer der Filiale „Wohlwert“ in Würzburg in der Eichhornstraße 5.

Am 8. Januar 1936 emigrierten sie in die Niederlande. Ihr Mann Ernst Ruschkewitz spezialisierte sich hier auf den Großhandel mit Uhren und Schmuck. Am 2. November 1936 kam in Den Haag ihr Sohn Jan Carl Albert Ruschkewitz zur Welt. Die dreiköpfige Familie wohnte in der P. Bothstraat 13 in Den Haag. Ihr Mann fand später in den Niederlanden noch eine Anstellung als Vertreter für die britische Firma H. Prince & Co.

Im Mai 1940 beim Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande, wohnte Ruth mit ihrer Familie in Bodegraven in einem großen Herrenhaus in der Noordzijde 104. Im Januar 1941 mussten sie sich bei den Behörden als Juden registrieren lassen. Ihr Sohn Jan durfte ab dem 1. September 1941 keine Schule mehr besuchen. Ab dem 3. Mai 1942 mussten sie in der Öffentlichkeit einen sogenannten Judenstern tragen.

Am 19. Oktober 1942 wurden Ruth und ihre Familie aus ihrem Haus in Bodegraven abgeholt. Ein Tagebuch ihres Mannes hat sich erhalten. Er schrieb darüber: „Dienstag, 17. November 1942. Heute vor vier Wochen (= Montag, 19. Oktober) abgeholt und nach Gouda gebracht; dreizehn Personen in Begleitung nach Amsterdam, der Joodsche Schouwburg. Bekannte getroffen, warmherzig empfangen, aber Schlaf unmöglich. Noch Hoffnung. Zwei Tage später mit dem Zug nach Westerbork, eine Reise ohne Probleme. Nach der Ankunft ein eineinhalbstündiger Marsch mit Gepäck, Ruth und Jan dürfen ab der Hälfte der Strecke auf einem Waggon mit Koffern mitfahren.“

Ab dem 22. Oktober 1942 befand sich die 31-jährige Ruth Ruschkewitz nun im Durchgangslager Westerbork. Die gesamte Familie Ruschkewitz wurde am nächsten Tag, dem 23. Oktober 1942, aus dem Durchgangslager Westerbork in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Ruth Ruschkewitz und ihr fünfjähriger Sohn wurden nach der Ankunft ermordet. Ihr Ehemann wurde noch zur KZ Zwangsarbeit verpflichtet. In seinem Tagebuch notierte er über die Deportation und Ankunft in Auschwitz: „Donnerstag (= 22. Oktober): Tag der Entscheidung, alles Mögliche ausprobiert und getröstet. Hoffnung bis zuletzt, unbeschreiblich schlechte Hygiene. Mit vielen Bekannten gesprochen; ich muss weinen, Ruth ist tapfer, wie immer, Jan ist sehr schüchtern, aber lieb. Schreckliche Nacht, eilte um 7.30 Uhr zur Anmeldung. Alles ist verloren. Ein Marsch im Regen. Untröstlich kriechen wir mit allem, was wir haben, die Schienen entlang. Um 11 Uhr (= Freitag, 23. Oktober) stehen wir mit 928 Juden da. Der Zug kommt an, fährt aber zu weit, Panik. Wir erobern ein gutes Abteil, jeder hat einen Platz. (…) Freitagnachmittag verlassen wir die gastfreundlichen Niederlande. Viele weinen, die Bevölkerung winkt. Dann Bremen – Berlin – Liegnitz – Cosel. Zehn Stunden Verspätung. Um 4 Uhr morgens: „Männer raus!“ Kurze Verabschiedung. Wir können es immer noch nicht fassen. Wir stehen in Reih und Glied, der Zug fährt mit den Frauen, Kindern und Männern über 55 davon. Wann werden wir uns wiedersehen? Was habe ich in all den vier Wochen nicht alles getan, um herauszufinden, wo sie sind, vergeblich!
Die Männer unter 55 müssen umsteigen, ich liege unter Koffern und breche mir fast das Bein! Halbe Stunde Fahrt, Halt um 5 Uhr, sehe Baracken, Wachposten, Flutlicht. Polnische Juden haben das Sagen. Angemeldet, einquartiert. Zwangsarbeitslager Annaberg, ein Durchgangslager.

Ernst Ruschkewitz musste zunächst in den KZ Aussenlagern Gleiwitz und Blechhammer arbeiten. Er starb am 31. März 1945 während eines KZ Todesmarsches. Er wurde in einem Massengrab in Berga an der Elster begraben.

Auch Ruths Mutter Johanette Eichenberg überlebte die nationalsozialistische Judenverfolgung nicht. Sie hatte sich am 25. Mai 1936  aus Düsseldorf in ihre Geburtsstadt Frankfurt am Main offiziell abgemeldet. Von dort wurde sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 15. März 1943 verstarb. 

Ihr Halbbruder Gerhard hatte Düsseldorf am 16. April 1937 ins Ausland verlassen. Er war der einzige der engen Familie, der die NS-Zeit überlebte. Er verstarb 1999 in den Vereinigten Staaten von Amerika. 

Ihre Halbschwester Eleonore hatte mit ihrem Mann Oskar Selowsky schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in den Niederlande gelebt. In Delft war 1931 ihr zweites Kind geboren worden. Auch sie und ihre Familie wurden im Durchgangslager Westerbork interniert und von dort am 10. März 1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und anschließend ermordet.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf