Gedenkbuch

Mayer, Otto

Am 28. März 1875 wurde Otto Mayer als Sohn des Ehepaars Moses und Martha Mayer, geborene Loeb, in Kleinbockenheim geboren. Er hatte zwei Geschwister: Albert (1869-1944 Ghetto Theresienstadt) und Delphine (1871-1961 Brüssel).
1903 wohnte Otto Mayer in Straßburg. Er heiratete am 26. März 1903 in Trier Paula Blum. Seine Frau war am 16. Dezember 1878 in Trier als Tochter von Samuel und Therese Blum, geborene Strauss, zur Welt gekommen. Als Trauzeuge setzte Otto Mayer seinen Bruder Albert Mayer ein. Im gleichen Jahr zog der frischverheiratete Otto Mayer mit seiner Frau nach Düsseldorf. Zunächst wohnte das Paar in der Bahnstraße 61. Otto Mayer mietete Büros in der Heinestraße 2 an und arbeitete als Repräsentant für Textilstoffe.

Am 11. November 1903 wurde der erste Sohn in Düsseldorf geboren. Er erhielt den Namen Erich. Zum Zeitpunkt seiner Geburt wohnte die Familie immer noch in der Bahnstraße 61. Ab 1913 wohnte die Familie in einer Wohnung in der zweiten Etage des Hauses Grupellostraße 28. Am 2. Juli 1913 kam in Düsseldorf der zweite Sohn, Kurt (später Uriel), zur Welt.

Im Jahr 1917 verstarben Otto Mayers Eltern in Kirn an der Nahe. Sein Vater Moses Mayer am 16. August und seine Mutter Martha Mayer am 12. Dezember. Beide wurden auf dem jüdischen Friedhof in Kirn an der Nahe begraben. Beide hatten in Kirn bei seiner Schwester Delphine gelebt. Sie hatte den gebürtigen Kirner Kaufmann Heinrich Haas geheiratet.

1922 war Otto Mayer im Düsseldorfer Adressbuch in der Heinestraße 2 mit dem Zusatz „Webwaren-Großhandlung“ verzeichnet. 1926 verlegte Otto Mayer seine Firmenadresse „Otto Mayer, Kleiderstoffe en gros“ in die Karlstraße 129. Sein Schwager Robert Blum hatte bis 1927 Prokura.

1931 wechselte die Familie Mayer die Rheinseite und zog in den Stadtteil Oberkassel. Hier wohnten sie zunächst in der Luegallee 70 und ab 1933 im Haus Luegallee 99. Ab 1936 lebte Otto Mayer mit seiner Frau in einer Wohnung in der Adalbertstraße 32.

Sein Sohn Erich Mayer arbeitete als Journalist und Werbeschriftsteller. Er heiratete am 24. Dezember 1931 in Düsseldorf-Oberkassel die Cembalistin Brunhilde Schneider. Er zog aus der elterlichen Wohnung mit seiner Frau in die Rembrandtstraße 22. 1932 nahm er den Familiennamen Mayer-Schneider an. Das Paar zog am 16. Januar 1936 nach Konstanz. Von dort emigrierten sie 1937 in die Schweiz. 1940 drohte die Ausweisung der beiden, die sie mit großen Anstrengungen wieder rückgängig machen konnten.

Im November 1938 wurden viele jüdische Familien in Düsseldorf durch die Überfälle im Zuge des Pogroms erschüttert. Otto und Paula Mayer hatten das seltene Glück, dass sie, da sie im Stadtteil Oberkassel wohnten, per Zufall von einem Überfall verschont blieben. Dennoch war die Verunsicherung groß, da viele Freunde und Bekannte direkt betroffen waren.

Otto und Paula Mayer schrieben über ihre Empfindungen am 13. November 1938 an ihren Sohn Erich in die Schweiz: „Wir sind gesund & bis jetzt ist Alles beim Alten, doch da Vater nicht arbeiten kann, bangt uns vor der Zukunft von Kurt und uns. – Vorerst sind wir so erschüttert & erstarrt, dass wir nicht schreiben können, deshalb seid uns nicht böse, wenn wir es nicht tun. Wir haben viel Arbeit mit Betreuen.“

Die Spätfolgen der Zerstörung jüdischen Eigentums holte jedoch auch Otto und Paula Mayer ein. Am 18. November 1938 berichteten sie ihrem Sohn Erich: „Also direkt zur Sache: Unsere Wohnung ist uns gekündigt worden, d.h. aus größter Nervosität und Ängstlichkeit heraus, und wir mussten die Kündigung annehmen, für deren Auszugstermin aber (…) der 28. Februar zu betrachten ist. Gleichwohl verlangte bzw. ersuchte der Besitzer uns, möglichst umgehend auszuziehen, die Möbel einen Spediteur zu übergeben und was heute sonst noch in der Bestürzung so allerlei von ihm vorgeschlagen wurde. Ich habe alles abgelehnt und nur zugesagt, daß wir uns um eine andere Wohnung bemühen, wofür aber nur gewisse Hausbesitzer in Frage kommen, deren Wohnräume aber noch nicht frei sind und erst in Ordnung gebracht werden müssen, hierfür kommen alle in Frage, die Euch bekannt sind. Immerhin zweifeln wir nicht daran, daß wir etwas Geeignetes event. 2 große Zimmer finden werden. Schon heute haben wir mit Suchen begonnen und Vormerkungen treffen lassen. Wir verzagen auch in dieser Sache nicht.“

Nun sah auch Otto Mayer die Notwendigkeit Deutschland zu verlassen. Jedoch wollte er nichts überstürzen und nicht „ins Blaue“ reisen, wie er in einem Brief an Erich am 1. Februar 1939 schrieb. Außerdem hielt er ihre Prioritäten fest: „Bevor Kurt, für den alles bearbeitet ist und wird, kommt für uns nichts in Frage, auch verknüpfe ich unsere herbstliche Zukunft nicht mit Kurt´s Zukunft.“ 

Im gleichen Brief berichtete Otto Mayer über die neue Wohnung: „Wir ziehen also etwa Ende März, nicht später, nach Erasmusstraße 18, nach dem „glücklichen Süden“ und bekommen eine gleichwertige, schöne, moderne Wohnung in neuem Hause (seit einigen Jahren gebaut) sehr gemütlich, hell und freundlich. Der Besitzer Schulhoff (Diplom-Ingenieur) hat mehrere Häuser, wohnt aber selbst auch Erasmusstraße 18, was unter allen Umständen ein Vorteil sein dürfte. Miete M. 100,-. Es sind 12 Wohnungen in diesem Haus, alle in gleicher Größe und modern.“

Im März 1939 erfolgte dann der Umzug in die Erasmusstraße 18. Am 31. März 1939 schrieb Otto Mayer an seinen Sohn Erich: „Inzwischen orientiere ich mich in der jetzigen Gegend, Brunnenstraße, Feuerbachstraße, Merowingerstraße, Post, Apotheke, Geschäfte – und vor allem „Tigges“ „Gebr. Frankenheim“ ganz nahe. Gestern Abend habe ich mich, bei Tigges bei diversem Düsselbier über Leben und Treiben orientiert und saß gemütlich 1 ½ Stunden mit biederen Düsseldorfer Herren zusammen und unterhielten uns vortrefflich. Verabschiedung mit herzlichem Händedruck. – Und nun Schluß, ich habe noch einige Besorgungen zu machen und will Mutter noch etwas zum Schreiben überlassen, obwohl ich ihr sagte, ein Gruß genüge heute, da Schillers Wort „Und immer waltet die tüchtige Hausfrau“ – so ähnlich lautet es doch –  momentan in stärkster Form zum Ausdrucke kommt.“

Am 2. Dezember 1939 trug ein Beamter des Standesamts Trier in die Heiratsurkunde von Otto und Paula Mayer ein, dass beide den Zwangsnamen Israel und Sara angenommen hätten. An seinen Sohn Kurt schrieb Otto Mayer am 10. Dezember 1939: „Einen mir innerlichen Bedürfnis nachgebend war ich gestern 2 ½ Stunden in der Grafenberger-Allee zum Gottesdienst und habe mich entschlossen, mindestens alle 14 Tage regelmäßiger Besucher zu werden und dies wirklich einzig und allein deshalb, weil ich mich gläubigen Herzens dahin zurückgefunden habe, wohin wir alle gehören. Wenn diese Rückgesinnung auch bestimmt durch dein derzeitiges Scheiden von uns stark beeinflußt ist, so muß ich dir doch sagen, daß ich schon längere Zeit dafür reif wurde, nicht zuletzt bestimmt durch deine (…) Hingabe zu Gott. Der Gottesdienst gestern war erhebend und schön und ergreifend, Dr. Klein, der sich riesig mit deinem Briefe freute und sich außerordentlich für dich interessiert, läßt dich herzlichst grüßen und wird dieser Tage mit seiner Frau unser Gast sein.“

Am 25. Februar 1940 schrieb Otto Mayer an seine Söhne: „Hier im Hause sind wir nach wie vor mit unserer gemütlichen Wohnung sehr zufrieden, haben nette Nachbarn und Mitbewohner, mit denen wir gemütlichen Verkehr pflegen, es sind Leute, die richtig zu uns passen, kultiviert u. lebensbejahend. Es kommt auch schon einmal vor, wie z.B. am letzten Freitagabend, dass wir uns erst um 2 Uhr Nachts erinnerten, dass wir eigentlich schlafen müssten. Mit Salms, Baums, Maxens Eltern, Dr. Kl. u.s.w. kommen wir aber auch viel zusammen, das Zusammengehörigkeitsgefühl ist stark ausgeprägt und belebt das Leben.

Über die Einführung des sogenannten Judensterns schrieb Otto Mayer am 14. September 1941: „Meine l. Kinder! Euer l. Brief vom Sonntag hat uns tief be- und gerührt und sagt tatsächlich alles das, was wir uns auch persönlich zu sagen hätten. Es ist nicht einfach, dies alles in Kauf nehmen zu müssen. Es ändert jedoch nichts an meiner Haltung nach außen und von innen, ich habe es wahrlich nicht nötig, von irgendjemand die Augen niederzuschlagen, meine in blutigen Kämpfen erhaltenen Verwundungen und Auszeichnungen sind durch ihre Urkunden zeitlose Zeugen.“

Am 21. September 1941 schrieb Otto Mayer: „Wir selbst sind auch auf die Erhaltung unserer Gesundheit bestens bedacht, da wir jetzt mehr Widerstandskraft wie je benötigen, –  Und sonst gehen wir z.Zt. ja nicht mehr so viel aus wie sonst und schätzen unser bescheidenes kleine Heim noch mehr wie früher, soweit eine Steigerung des Gefühls noch möglich ist. Eine sinnreiche Dekoration habe ich an einer Wand angebracht, es sind meine Kriegsorden, Auszeichnungen, Urkunden und dgl. in einem geschmackvollen Rahmen mit Glas, auch Zeugen für meine mehrfachen Verwundungen. Erinnerungen an große Zeiten und Erlebnisse. -„

Im Oktober 1941 begannen die Deportationen jüdischer Bürgerinnen und Bürger auch aus Düsseldorf. Otto und Paula Mayer waren davon noch nicht direkt betroffen. Jedoch sollte Paulas Bruder Robert Blum sich für den ersten Transport bereithalten. Sie schrieben darüber an Erich in die Schweiz am 16. Oktober 1941: „Heute nur kurz die Nachricht, dass wir gesund sind. Wir werden diesmal später schreiben, da wir viel Arbeit durch Onkel Robert haben. Er reist nächste Woche mit guten Bekannten. Vielleicht könnt Ihr ihn noch hierher schreiben; versucht es, da er zunächst noch keine Adresse angeben kann. Wir reisen jetzt noch nicht, vielleicht können wir besseres Wetter abwarten.“

Die Angst vor der eigenen Deportation steigerte sich mit jedem aus Düsseldorf abgehenden Transport. Otto Mayer bekam durch seine ehrenamtliche Arbeit in der Jüdischen Gemeinde die Informationen darüber aus erster Quelle.

Mit der zweiten Deportation aus Düsseldorf, Ziel war das Ghetto in Minsk, wurden über 600 Menschen aus Düsseldorf deportiert. Otto und Paula Mayer hatten zunächst auch auf der Deportationsliste gestanden, wurden aber wegen Otto Mayers Arbeit für die Gemeinde zurückgestellt. Paula Mayer schrieb am 10. November 1941 in die Schweiz: „Gestern sind unsre verschiedenen Freunde weg, & und wir sind sehr traurig. Wir warten noch etwas ab, aber wohl nicht lange.“
Ende des ereignisreichen und beängstigen Jahres 1941 schrieb Paula Mayer: „Inzwischen hat sich nichts Neues ereignet, & wir sind froh darüber. Dass wir v. Kurt so gar nichts hören, tut uns sehr leid, aber wir vermuten doch, dass es ihm leidlich ergeht. Nun ist schon wieder ein Jahr um, wollen wir hoffen, dass das kommende ein gutes wird! Ob wir uns im kommenden wiedersehen? Von Robert hörten inzwischen nichts mehr.“

Am 10. Juli 1942 schrieben Otto und Paula Mayer: „Liebe Kinder, nun ist es soweit, wir reisen am Montag d. 20.7. Ihr könnt Euch denken, wies uns ums Herz ist. Schreibt bitte sofort, dann erreichts uns vielleicht noch, am besten vielleicht an Braunschweig auf der Etage, die noch hier sind & noch nicht reisen. (…) Ich muss schon Schluss machen, bin zu gerührt & muss doch standhaft bleiben. Ausführl. Nachr. im Brief & viell. noch Karten folgen. Behaltet uns lieb Ihr 2 Lieben, einen festen Kuss Eurer Mutter“ und Otto Mayer ergänzte: „Meine l. Kinder! Also Dienstag in 8 Tagen geht die Reise los nach Theresienstadt, an der Elbe gelegen zwischen Dresden u. Prag, das wegen der schönen Lage sehr gelobt wird. Da wir in Gesellschaft meiner früheren Kriegskameraden und alten Leuten reisen, wobei ich die Leitung habe, sind wir etwas optimistisch gestimmt. Im übrigen wollen wir keine rührselige Stimmung aufkommen lassen und hoffe ich, daß wir bald schreiben können wegen Adresse u.s.w. jedenfalls schreiben wir noch in den nächsten Tagen und Ihr werdet ja wie umseitig angegeben an Rudolf schreiben. Indessen herzlichste Grüße u. Küsse, Euer Vater

Am 21. Juli 1942 wurde Otto Mayer mit seiner Frau Paula von Düsseldorf in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sein Bruder Albert Mayer wurde mit seiner zweiten Ehefrau Olga aus Wiesbaden über Frankfurt am Main am 1. September 1942 ebenfalls dorthin deportiert. Ob sich die Geschwister noch im Ghetto sehen konnten? Möglicherweise war es so, da in der Todesfallanzeige von Paula Mayer in der Rubrik “Verwandte in Theresienstadt” Albert Mayer als Schwager vermerkt wurde. Am 26. September 1942 verstarb Otto Mayer im Ghetto Theresienstadt im Alter von 67 Jahren. Seine Frau Paula verstarb am 11. Januar 1943 im Ghetto Theresienstadt.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf