Gedenkbuch

Schunka-Horn, Helene

geb. Horn

Am 14. Dezember 1892 kam Helene Horn als erstes Kind von Moritz Moses und Henriette Horn, geborene Meyer, in Köln zur Welt. Ihre Eltern hatten 1891 in Köln geheiratet. Ihr Vater Moritz Moses Horn war 1858 in Köln zur Welt gekommen, ihre Mutter 1871 ebenfalls in Köln. Helene, die in der Familie auch Lene genannt wurde bekam noch vier Brüder. Ihr Bruder Wolfgang (Willy) kam am 18. Januar 1894 in Köln zur Welt. Ihm folgte Jakob, der am 28. Mai 1895 geboren wurde. Als Helene fast fünf Jahre alt war wurde ihr Bruder Dagobert am 3. Oktober 1897 in Köln geboren. In Wiesbaden, wohin die Familie verzogen war, kam am 21. März 1908 ihr jüngster Bruder Karl zur Welt. Ihr Vater Moritz Moses Horn hatte in Köln als Bankier und Kaufmann gearbeitet. Helene Horn absolvierte eine Ausbildung zur Stenotypistin und konnte hervorragend Schreibmaschine schreiben.

Anfang der 1920er Jahre lernte Helene Horn den Kaufmann Hermann Heinrich Schunka kennen. Hermann Schunka war zunächst Mitinhaber des Möbelgeschäfts „Jäkel & Co“ auf der Grafenberger Allee 43 in Düsseldorf. Im Jahr 1923 gründete er mit dem Duisburger Kaufmann Paul Herman das Handelsgeschäft für Bergwerks-, Hütten- und Industriebedarf „Hermann & Co“. Hermann Schunka führte die Düsseldorfer Niederlassung in der Hermannstraße 17. In diesem Haus wohnte Helene Horn seit dem 1. März 1920. Zuvor war sie in Wiesbaden gemeldet gewesen. Helene Horn und Hermann Schunka wurden ein Paar und am 13. Januar 1925 kam in Düsseldorf ihr gemeinsamer Sohn Hans Klaus zur Welt. Offiziell heirateten Helene Horn und ihr Lebensgefährte jedoch nicht. Ihr Sohn Klaus wurde im evangelischen Glauben erzogen, da sein Vater auch evangelisch war. Die Familie wohnte in der Hermannstraße 17.

Im Jahr 1926 fand in Düsseldorf die große Messe für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen statt. Bei einem Besuch auf der Gesolei infizierte sich Hermann Schunka. Er wurde zum Pflegefall. Helene Horn stellte den Sachverhalt später so da: „Der Vater meines Jungen bekam auf der Gesolei am 26. September 1926 einen giftigen Fliegenstich an der rechten Hand und hat bis zu seinem am 10. August 1932 erfolgten Tode dauernd im Bett gelegen. Ich habe durch Tag- und Nachtarbeit für ihn und das Kind den Lebensunterhalt und alle Arzt- und Krankenhauskosten auf der Schreibmaschine verdient.“ Im Jahr 1930 änderte Helene Horn ihren Nachnamen in „Schunka-Horn“. Am 10. August 1932 verstarb ihr Lebensgefährte in Düsseldorf. Am 15. Juli 1933 zog Helene Schunka-Horn in das Haus Beethovenstraße 8. Das Haus gehörte ihrer Familie und später ihr persönlich. Mit im Haus wohnte auch ihr jüngster Bruder Karl Horn, der als Arzt arbeitete. Am 1. August 1934 zog ihr Bruder nach Wiesbaden. Dort wohnten noch die Eltern Moritz Moses und Henriette Horn. Helene Schunka-Horn blieb in Düsseldorf. In der Folgezeit emigrierten alle ihre Brüder mit ihren Familien in die Vereinigten Staaten. Nur Helene Schunka-Horn blieb in Düsseldorf und ihre Eltern in Wiesbaden.

Am 9. November 1938 wurde im Zuge des Pogroms ihre gesamte Wohnungseinrichtung demoliert. Am 11. November 1938 schrieb sie an ihre Brüder in Amerika. „Düsseldorf, Abends 6 Uhr, An alle drei Brüder in Amerika, In der Nacht vom 9./10. November ist ein Rollkommando SA Leute in unser Haus & in die Wohnungen eingebrochen und hat uns beide, das Kind und mich, bettelarm gemacht. Wir haben weder ein Glas noch eine Tasse, keinen Teller, keinen Stuhl, keinen Tisch, Schreibtisch, Sessel, Stühle, Kommode, Bett, alles kurz und klein geschlagen. Wäsche, Leinen, Decken, Bettzeug, B mit Scheiben alles durchstochen, eingeritzt, durchschlitzt, Anzüge und einen neuen Überzieher von Klausi sechsmal durchschnitten. Bilder ohne Glas durchstochen. Gardinen und Vorhänge von den Fenstern gerissen. Marmorplatten von der Kommode und den Nachttischen restlos zertrümmert.
Gestohlen hat man mir eine Monatsamortisation der 1. Hypothek von RM 150, meine goldene Armbanduhr, den Photoapparat von Dag, ein 20 RM Stück, eine Nadel von Fritz. Alles, was noch da ist, ist restlos entzwei. In unserem Viertel war es am allerschlimmsten. Im Keller hat man 30 Flaschen Wein gestohlen, und teils ausgeleert & zwar über meine Schreibmaschine, die total entzwei ist.
In Wiesbaden, wohin ich telegrafiert und telefoniert habe, ist nichts passiert. Was weiter kommt, weiss ich nicht. In anderen Häusern hat man Flügel, Klaviere und alles Hausrat auf die Straße geworfen, aus den Etagen heraus. Die Synagoge brennt seit Tagen. Wenn Ihr es nur eben könnt, schickt uns etwas, ich weiss, mit Registermark könnt Ihr billig Geld kaufen, mir wird es hier voll ausbezahlt.
Wir sind vollständig verzweifelt, soeben schreibt das Abendblatt, dass wir ab 1.1. nicht mehr arbeiten dürfen und 1 Milliarde RM bezahlen müssen.
Antwortet bald Eurer unglücklichen Lene!

Im September 1939 wurde bei einer Hausdurchsuchung ein Radio in ihrer Wohnung gefunden und beschlagnahmt. Helene Schunka-Horn protestierte dagegen in einem Brief vom 24. September an die Geheime Staatspolizei. Sie erklärte, dass im Dezember 1938 ihre Schwägerin aus Amerika zu Besuch bei ihren Eltern in Wiesbaden war. Als diese von der Zerstörung des Radios während des Pogroms 1938 erfahren habe, habe sie beschlossen, Klaus Geld für ein neues Radio zu senden. Helene Horn schrieb an die Gestapo weiter: „Mein Junge ist sehr musikalisch, er hat sonst keinerlei Freunde oder Kameraden und hat jede freie Minute an dem Apparat verbracht.“ Und „bitte ich höflichst, dass uns der Apparat wieder zu Verfügung gestellt wird.“ Doch die Gestapo wies ihre Bitte am 29. September 1939 ab. Und die Schikane ging weiter. Am 7. Oktober 1939 vermerkte der Führer des SD Abschnitts Düsseldorf in einem Schreiben an die Gestapo über sie: „Es wird hier gemeldet, dass die Obengenannte geflissentlich ihre jüdische Abstammung verschweigt (…) Da die Verhältnisse ziemlich unklar sind, wird es als erforderlich erachtet, diese durch eine staatspolizeiliche Vernehmung zu klären.“ Helene Schunka-Horn musste daraufhin am 18. Oktober 1939 bei der Gestapozentrale in der Prinz-Georg-Straße vorstellig werden. In ihrer Gestapo-Personenakte wurden ihre Aussagen festgehalten.

Am 5. November 1939 verstarb in Wiesbaden ihr schwer kranker Vater. Ihre Mutter Henriette Horn emigrierte am 3. April 1940 aus Wiesbaden zu ihren Söhnen in die USA.
Im Juni 1941 wurde Helene Schunka-Horn wieder denunziert. Die Gestapo schrieb am 3. Juni 1941: „Es wurde bekannt, dass die Jüdin Horn (…) noch einen Fernsprechanschluss hat. (…) Sie hat ein Kind im Alter von 16 Jahren (…) Schunka war deutschblütig (…) Da das Kind bei der Geburt evangelisch getauft wurde, gilt es als Mischling 1. Grades und wird nicht dem Judentum zugerechnet. Der bestehende Fernsprechanschluss wird gekündigt. In Verlaufe der weiteren Feststellungen ergab sich, dass die Jüdin Horn für verschiedene Düsseldorfer Rechtsanwälte und Notare schriftliche Arbeiten als Heimarbeit verrichtet (…) Aus diesem Grunde wurde ihr aufgegeben, sich zum jüdischen Arbeitseinsatz zu melden…und auf den Namen Klaus Schunka-Horn lautende Gewerbe sofort abzumelden.“ Helene Schunka-Horn antwortete am selben Tag: „…mein Junge ist Schlosser- und Schweisserlehrling im dritten Lehrjahre im Autogenwerk Sirius und bringt wöchentlich 8 bis 10 RM mit nach Hause. Zu seiner Ausbildung besucht er die Fachschule in der Charlottenstraße an 3 Abenden der Woche. Ich könnte das Kind, der doch nach seinem verstorbenen Vater Mischling ersten Grades ist, weder ernähren noch kleiden, wenn ich mein Gewerbe nicht mehr ausüben dürfte. Wir zwei stehen in Europa ganz alleine. 4 Brüder, 4 Schwägerinnen und meine Mutter sind in New York, wohin wir nach Kriegsschluss ebenfalls auswandern wollen. (…) Ich habe drei Brüder kriegsfreiwillig im Weltkrieg gehabt…der letztere erhielt als Maschinengewehrschütze in Cambrai das EK. II.
Unter Berücksichtigung alles dessen spreche ich die herzliche Bitte aus, doch unser Lebensschicksal wohlwollend zu berücksichtigen…wenn Sie mir die Erlaubnis geben, solange zu arbeiten, bis das Kind aus der Lehre ist…zumal das Kind effektiv ja Mischling ist.“ Doch der Gestapobeamte Georg Pütz war keineswegs wohlwollend, sondern hielt sofort ein zweites „Vergehen“ fest: „5. Juni 1941 Vermerk. Wegen Verstoßes gegen die Kennkartenbestimmung wurde die Jüdin Horn ernstlich belehrt und gewarnt.“

Im Juni 1941 wurde Helene Schunka-Horn im Rahmen des „geschlossenen jüdischen Arbeitseinsatzes“ zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie musste in der Blechwarenfabrik Fischer AG in Oberkassel auf der Prinzenallee 21 arbeiten. Im Juni 1942 wurde sie darüber informiert, dass sie am 15. Juni 1942 ins Ghetto Izbica deportiert werden solle. Ihr Sohn Klaus hätte in Düsseldorf bleiben können. Da die beiden aber nicht getrennt werden wollten, trat Klaus am 12. Juni 1942 offiziell zum Judentum über. Zusammen wurden die beiden am 15. Juni 1942 in einem Sammeltransport deportiert. Sie gehörten zu den 154 Juden aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf. Vermutlich wurden fast alle 1003 Deportierten in im Vernichtungslager Majdanek oder Sobibor ermordet.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf