Gedenkbuch

Marcus, Paul

Paul Marcus (geboren am 19. Juni 1882 in Dessau) war der Inhaber des Kaffee-Restaurant Marcus, genannt Karema, in der Marienstraße 3. In das Haus zog er im Jahr 1936 mit seiner Frau Hedwig (geborene Wolff, zur Welt gekommen am 14. Oktober 1893 in Solingen) und dem Sohn Hans (geboren 1923 in Düsseldorf) vom Cranachplatz 1. Das Karema wurde Treffpunkt jüdischer Familien und junger Leute, als nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 Juden als „unerwünscht“ aus Cafés und Restaurants ausgeschlossen wurden.

In der Pogromnacht vom 10. November 1938 drangen Nationalsozialisten in die Gasträume ein, schlugen alles kurz und klein und verletzten Paul Marcus schwer. Am nächsten Morgen wurde er am Martin-Luther-Platz tot aufgefunden, seine Leiche von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) beschlagnahmt. Seiner Frau wurde die Erklärung abgepresst, dass ihr Mann sich selbst getötet habe.

Auch Hedwig Marcus war in der Nacht schwer verwundet worden. Zunächst blieb sie ohne ärztliche Versorgung, bis man sie schließlich in den Städtischen Krankenanstalten aufnahm. Ende Januar 1939 wurde sie im Jüdischen Krankenhaus in Köln aufgenommen. Die Kugel in ihrer Lunge konnte erst drei Jahre später entfernt werden. Mitte März 1939 gelang Hedwig Marcus mit ihrem Sohn Hans die Ausreise nach Palästina.

1956, anlässlich eines Düsseldorf Besuches, berichtete Hedwig Marcus über die Ereignisse der Pogromnacht 1938: “Gegen Mitternacht saß ich… mit meinem verstorbenen Mann Paul Marcus im Büro des „KAREMA“ (Kaffee-Restaurant-Marcus) Marienstraße 3 zu Düsseldorf, nachdem er etwa 10 Minuten zuvor einen Brief in den Briefkasten gebracht hatte. Die Straße war leer und totenstill gewesen. Plötzlich kam unser Buffetier, Leo Abraham, hereingestürzt, um zu melden, dass Nazibanden ins Kaffee eingedrungen waren und schon flogen auch Steine durchs Fenster. Wir suchten Schutz hinter Möbelstücken, während auch Uniformierte ins Büro eindrangen. Mein Mann öffnete eine sonst stets verschlossene Türe zum Hausflur, um auf der Polizeiwache Meldung zu machen und Hilfe zu holen, die übrigens achselzuckend verweigert wurde.
Ich lief hinterher auf die Straße, wo eine große Menschenmenge – meist junge Burschen – johlend und Steine werfend stand. Es war mir unmöglich, meinem Mann zu folgen, und ich versuchte daher zurück zu flüchten. Dabei wurde ich schon geschlagen, mit Fäusten und harten Gegenständen und mit Steinen beworfen, konnte aber trotzdem ins Haus zurückkommen. Auch im Haus wurde ich weiter misshandelt, wobei ich ohnmächtig zusammenbrach. Beim Wiedererwachen lag ich in der Diele auf dem Boden neben der Garderobe, wo Frau Wollinjack, die Garderobiere, ihren Bestand bewachen wollte, aber nicht verhindern konnte, dass Mäntel etc. zerrissen, zerschnitten etc. wurden. Ich wurde vom Küchenpächter Kahn und seiner Frau notdürftig verbunden und dann zum jüdischen Arzt, Herrn Dr. Löwenberg, Marienplatz 20, gebracht.
Mein Mann, der zu seinem Bruder, Regierungs- und Baurat Karl Marcus geflüchtet war, kam später zu mir ins Sprechzimmer des Arztes, während dieser schon in seine Privatwohnung geflüchtet war. Später drangen auch in die Arzträume Uniformierte ein, die Fenster und Türen eingeschlagen hatten. Zeitweise gingen sie wieder fort. Mitten in der Nacht kamen Schwarzuniformierte – 3 Mann – und schrien „Hände hoch!“ und schossen zugleich. Mein Mann war anscheinend sofort tot und ich, die ich nach Verbinden durch den Arzt mit verbundenem Kopf (Kopfwunde und eingeschlagene Zähne) auf einer Ruhebank lag, erhielt einen Bauchschuss, der auch die Lunge durchdrang […]. Ich fiel von der Bank auf den Boden und blieb blutüberströmt in der Blutlache neben meinem toten Mann liegen, zeitweise ohnmächtig, … bis ich gegen Morgen durch die Reinmachefrau gefunden wurde. Der hinzugeholte Arzt Dr. Löwenberg konnte mich in einigen Krankenhäusern nicht unterbringen wegen angeblicher Überfüllung. Doch die Städt. Krankenanstalten erklärten sich sofort bereit. Während der Überführung wurde ich von dem Beifahrer dauernd beleidigt und „Judenschwein“ beschimpft. Dagegen empfingen mich Prof. Frey und die Schwestern in vorbildlicher Weise, und nach einer sofortigen Bluttransfusion wurde ich operiert […]. Trotz des Widerstandes von Prof. Frey war die Gestapo immer in der Nähe und sofort nach Aufwachen aus der Narkose wurde ich befragt, wie auch die Tage weiterhin. […]

Der im Bericht erwähnte ältere Bruder ihres Mannes, der Regierungs- und Baurat Karl Marcus (geboren 1873), sowie der Bruder Bruno Marcus (geboren 1874), wurden mit ihren Ehefrauen am 10. November 1941 aus Düsseldorf in das Ghetto von Minsk deportiert. Auch sie haben nicht überlebt.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf