Gedenkbuch

Seligmann, Gertrud

geb. Freund

Am 26. Oktober 1902 kam Gertrud Freund in Saaz in Böhmen als Tochter von Julius und Margarethe Freund, geborene Pollak, zur Welt. Sie hatte eine Schwester namens Paula, die 1898 zur Welt gekommen war. Ihr Bruder Otto Freund war 1899 geboren worden. Die Familie zog nach Prag, wo ihr Vater früh verstarb. 

Gertrud Freund heiratete den Kaufmann Leopold Seligmann. Ihr Mann war am 19. Januar 1888 als Sohn von Jakob Seligmann und Bertha Seligmann, geborene Weinberg in Düsseldorf zur Welt gekommen. Ihr Ehemann Leopold Seligmann handelte als Großwarenhändler mit Kaffee und besaß ein eigenes Lager in der Nähe vom Bahnhof Wehrhahn. 

Am 26. November 1924 kam die gemeinsame Tochter Marianne (später Miriam Choresh) zur Welt. Die Familie lebte zunächst in der Klever Straße 66 und zog am 6. Januar 1931 in die Brehmstraße 31 ins Düsseldorfer Zooviertel. Sie lebten nicht nach streng jüdischen Regeln. Es kam durchaus vor, dass ihr Ehemann Leopold Seligmann am Schabbat zur Arbeit ging, wie sich seine Tochter in einem Interview mit der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf erinnert. Die Familie besuchte die Synagoge hin und wieder. 

Gertrud Seligmann engagierte sich neben ihrer Hausarbeit auch in der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Dort bereitete sie Essen für bedürftige Gemeindemitglieder zu. Mit dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetzte konnte ihr Mann seine Arbeit als Kaufmann und Großwarenhändler nicht mehr fortführen. Um seine Familie trotzdem ernähren zu können, arbeitete er mit über 50 Jahren als Straßenarbeiter. Ein christlicher Bekannte stellte ihn trotz des Berufsverbots an, wie sich seine Tochter später in einem Interview erinnerte.

Am 12. Dezember 1935 verstarb ihre Schwiegermutter Bertha Seligmann im Alter von 76 Jahren. Sie wurde auf dem alten jüdischen Friedhof in Düsseldorf neben ihrem Ehemann begraben. 

Ihre Tochter Marianne besuchte das private Schuback-Schmidt-Lyceum (alte Bezeichnung für Gymnasium) in Düsseldorf. Dort fühlte sie sich aufgrund der antisemitischen Stimmung, die in der Schule herrschte, allerdings nicht mehr wohl. In einem Interview erinnerte sie sich daran, dass sie nach der Schule von Jungen (vermutlich waren sie in der HJ) verfolgt und mit Steinen beworfen wurde. Sie musste sich oft mit ihren Freundinnen auf dem Nachhauseweg verstecken. Seine Tochter bat daraufhin, die Private Jüdische Volksschule Düsseldorf besuchen zu dürfen. 

In der Pogromnacht am 9./ 10. November 1938 flohen ihr Mann Leopold Seligmann und Tochter Marianne aus ihrem Haus, da sie befürchteten überfallen zu werden. Gertrud Seligmann blieb allerdings zurück und hatte Glück: Die Wohnung in der Brehmstraße 31 blieb von den Angriffen verschont. Dies teilte sie ihrem Mann telefonisch mit. Er blieb jedoch noch einige Wochen bei Bekannten, damit er nicht in die Verhaftungsaktionen geriet.

Da neben der Düsseldorfer Synagoge auch das Rabbinerhaus, in dem die Private Jüdische Volksschule untergebracht war, in Brand gesteckt und verwüstet worden war, endete zunächst der Schulbesuch ihrer Tochter. Ihr Mann Leopold Seligmann nahm Kontakt zu Dr. Erich Klibansky, dem Schuldirektor des jüdischen Realgymnasiums „Jawne“, in Köln auf, um Marianne dort anzumelden. Sie wurde angenommen und konnte dort ihren Schulbesuch zunächst fortführen. Der Schuldirektor Erich Klibansky organisierte die Ausreise für jüdische Schülerinnen und Schüler nach Großbritannien. So bestand auch für Marianne die Möglichkeit, Deutschland am 25. August 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien zu verlassen. Gertrud Seligmann und ihr Mann hielten weiterhin den Kontakt zu ihrer Tochter aufrecht. Sie schrieben sich gegenseitig Briefe, die sie über die „neutralen“ Länder verschickten. Darin versuchte das Elternpaar stets optimistisch zu sein, obwohl sie unter der rassistischen Verfolgung des NS-Regimes litten. 

Seit dem 10. August 1939  wohnten sie in der Grabenstraße 2. Das Haus war das Elternhaus ihres Mannes und gehörte ihm und seinen Geschwistern, hier wohnte auch ihr Schwager Friedrich Seligmann. Den letzten Brief schrieben Gertrud und Leopold Seligmann im Oktober 1941 an ihre Tochter, kurz bevor sie am 27. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt/Lodz deportiert wurden. Darin berichteten sie, dass es ihnen leid täte, ihre Heimat verlassen müssten. Ihr Mann Leopold Seligmann nahm neben anderen persönlichen Gegenständen auch Dokumente wie das Eiserne Kreuz zweiter Klasse bei der Deportation mit. Am 28. Oktober 1941 erreichte der Transport mit über 1000 weiteren Personen das Ghetto. Gertrud und Leopold Seligmann kamen zunächst in der „Düsseldorfer Kollektivunterkunft“  in der Fischstraße 21 im Zimmer 8 unter. Es mangelte an Platz, Privatsphäre, sanitären Anlagen, fließendem Wasser, ausreichend Nahrung und vielen Dingen des täglichen Lebens. 

Im Mai 1942 erhielten Gertrud und Leopold Seligmann und ihr Schwager Friedrich Seligmann eine sogenannte „Ausreiseaufforderung“, die nichts anderes als eine Deportation in das Vernichtungslager Kulmhof bedeutete. Dagegen legte ihr Mann erfolgreich mit einem Schreiben am 10. Mai 1942 Widerspruch ein. Er führte unter anderem seine Kriegsauszeichnungen an und wies zusätzlich darauf hin, dass seine Frau „arbeitseinsatzfähig“ sei und „jede Tätigkeit“ annehmen würde. Das Ehepaar Seligmann konnte die „Düsseldorfer Kollektivunterkunft“ am 19. Mai 1942 verlassen und bezogen die Wohnung 47 in der Fischstraße 21. Ihr Schwager Friedrich Seligmann starb an den Folgen seiner Unterernährung im Ghetto Litzmannstadt am 7. Juli 1942.
Am 26. November 1943 zogen Gertrud und Leopold Seligmann in eine Wohnung in der Straße „Am Bach 8“. Das Ghetto wurde im August 1944 endgültig geräumt und alle verbliebenen Ghettobewohner und Bewohnerinnen wurden aufgefordert „auszureisen“. Das Ziel der „Aussiedlungen“ war diesmal das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Im August 1944 befanden sich noch 65 ehemals „Düsseldorfer Kollektivmitglieder“ im Ghetto, darunter auch Gertrud und Leopold Seligmann. Namenslisten für die letzten Deportationen sind nicht überliefert, sodass nicht bekannt ist, wann genau beide in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Ihr Mann wurde vermutlich kurz nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau ermordet. 
Gertrud Seligmann „überstand“ die erste Selektion und wurde als „Häftling“ ins Lager aufgenommen. Dort war sie zwei Monate. Gertrud Seligmann wurde mit ungefähr 1500 anderen „Häftlingen“ am 27. Oktober 1944 ins Konzentrationslager Stutthof in der Nähe von Danzig überführt. Dort wurde sie unter der  Nummer 76599 ins Lager aufgenommen. Im dortigen Sterbebuch ist ihr Name ohne Datum vermerkt worden.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf