Gedenkbuch

Pardis, gen. Danziger, Selma

geb. Wagner

Am 24. April 1880 kam Selma Wagner als Tochter des Ehepaars Leopold und Henriette Wagner, geborene Jüdell, in Hannover zur Welt. Sie heiratete den Kaufmann Willy Wolf Pardis, genannt Danziger. Ihr Mann war am 5. Februar 1870 in Hamburg zur Welt gekommen. Am 4. November 1897 wurde in Hannover ihr Sohn Emil geboren.

Um 1906/7 zog Selma Pardis/Danziger mit ihrer Familie nach Düsseldorf. Während des Ersten Weltkriegs kämpfte ihr Sohn Emil Danziger als Soldat. Er fiel am 27. Oktober 1918. Nach seinem Tod erhielt das Ehepaar Pardis/Danziger eine Hinterbliebenenrente in Höhe von 31,10 Reichsmark.

Selma und ihr Ehemann arbeiteten beruflich gemeinsam. Selma Pardis, genannt Danziger, war seit 1922 Inhaberin der Firma Götzer & Co. In der Klosterstraße 47 wie ein Handelsregistereintrag aus dem Jahr 1924 ausweist. 1927 war ihre Firma, ein Gaskronen-Verleih-Institut (Lampen und Laternen), jedoch erloschen. Zuvor (ab 1910) hatte ihr Mann Wolf Danziger die Firma zunächst mit Eduard Götzer und nach dessen Tod mit dessen Frau Ida Götzer, geborene Goldstein, als gemeinsame Eigentümer geführt.

Willy Wolf Pardis/Danziger fungierte danach als Inhaber der Firma „Elberfelder Bettenvertrieb Wolf Pardis“ ebenfalls in der Klosterstraße 47. Das Haus gehörte Emil Flechtheim. Die Firma wurde 1926 in das Düsseldorfer Handelsregister eingetragen. 1929 kam das Geschäft, vermutlich aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise, in Probleme und musste im Mai 1929 ein Konkursverfahren eröffnen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Privatadresse mit Bismarckstraße 79 angegeben.
Bei einem späteren Verhör bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Düsseldorf sagte Selma Pardis/Danziger 1942: „Seit dem Jahre 1928 hat sich mein Mann bis etwa zum Jahre 1938 in Düsseldorf bei verschiedenen Firmen als Buchhalter betätigt.“

Zuletzt wohnte Selma Pardis/Danziger mit ihrem Mann Willy Wolf Pardis/Danziger in einer Wohnung im 4. Stock des Hauses Worringer Straße 80. Am 22. Januar 1942 verstarb ihr Mann in Düsseldorf.

Selma Pardis/Danziger wurde Anfang April 1942 darüber informiert, dass sie zur Deportation am 21. April 1942 vorgesehen sei. Daraufhin versuchte sie sich dem Transport zu entziehen und verließ Düsseldorf. Am 4. Mai kam sie nach Düsseldorf zurück und  wurde der Gestapo gemeldet und von ihr in „Schutzhaft“ genommen und verhört. Folgende Aussage befindet sich heute in ihrer diesbezüglichen Akte, die im Landesarchiv in Duisburg archiviert ist: 

„Am 13.4.42 wurde ich zur Dienststelle der Geheimen Staatspolizei vorgeladen, wo mir eröffnet wurde, dass ich für einen in den nächsten Tagen von Düsseldorf abgehenden Judentransport bestimmt sei. Etwa 2 Tage später wurde auch durch ein Rundschreiben der jüdischen Gemeinde bekanntgegeben, dass der Transport am 22.4.42 stattfindet und dass sich die Transportteilnehmer am 21.2.42 in ihrer Wohnung bereithalten sollten. Ich hatte schon einige Tage vorher das bestimmte Gefühl, dass ich diesen Transport nicht überstehen würde. Über den ganzen Transport hatte ich mir auch schon so viel Gedanken gemacht, dass ich schließlich die Nerven verlor. Nachdem ich alles soweit für den Transport gepackt hatte, bin ich am Montag, den 20.4.42, ich glaube es war gegen 17.30 Uhr aus meiner Wohnung gegangen, um mich in den Rhein zu stürzen. Nachdem ich einige Zeit in der Stadt herumgelaufen war und ich das Gefühl hatte, dass ich nicht den Mut haben würde, mich zu ertrinken, kam ich zu dem Entschluss, mit der Eisenbahn nach Köln zu fahren. Auf die Frage, was ich gerade in Köln wollte, muss ich sagen, dass ich das nicht weiß, ich wollte nur erst einmal aus Düsseldorf fort sein. Bevor ich in Düsseldorf eine Fahrkarte löste, habe ich auf der Frauentoilette des Bahnhofes den Judenstern von meinem Mantel entfernt. Den Stern habe ich deshalb entfernt, weil ich annahm, dass ich sonst keine Fahrkarte bekommen hätte. 

Ich glaube, dass es gegen 20.00 Uhr war, als ich in Köln ankam. Auch in Köln bin ich eine Zeitlang durch die Stadt gelaufen, weil ich ja nicht wußte, was ich machen sollte. Schließlich habe ich mich auf dem Hauptbahnhof in Köln in den Wartesaal gesetzt. Ich weiß, daß ich dort eine Tasse Kaffee getrunken habe. Durch die dauernde Unruhe und die furchtbare Ungewißheit muß ich wohl laut geweint haben, denn es kam plötzlich ein Herr zu mir und frug mich, warum ich weine und was ich habe. Ich erklärte diesem Herrn, daß ich Jüdin sei und aus Düsseldorf komme. Dort sei ich zu einem Transport nach dem Osten bestimmt und müsse in den nächsten Tagen fort. Weiter sagte ich dem Herrn, daß ich eine furchtbare Angst vor dem Transport habe und ich die Absicht hätte, Selbstmord zu begehen. Der Herr fragte mich dann, ob ich Geld habe und mit ihm nach München fahren wolle. Da ich keinen anderen Ausweg mehr wusste und ich etwas 100.- RM. Bargeld bei mir hatte, habe ich dem Herrn das Geld für die Fahrt gegeben, worauf der Herr dann eine Fahrkarte nach München löste. Wir sind an dem selben Abend noch von Köln aus nach München gefahren. In den Morgenstunden des nächsten Tages kamen wir in München an und sind sofort in die Wohnung des betreffenden Herrn gegangen. Dort habe ich mich, da ich völlig erschöpft war, auf eine Couch im Wohnzimmer hingelegt, um etwas auszuruhen. Der Herr war inzwischen wieder aus seiner Wohnung fortgegangen. Familienangehörige des unbekannten Mannes waren nicht da, wohl war eine Putzfrau in der Wohnung, mit der ich aber kein Wort gesprochen habe. Ich habe mich in der Wohnung des Herrn etwa 12 Tage aufgehalten. Am übernächsten Sonntag bin ich wieder von München weggefahren, um mich bei der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf zu melden. In der Zeit meines Münchner Aufenthalts habe ich die Wohnung des unbekannten Herrn nicht verlassen. Der Herr ging morgens früh aus dem Hause und kam gegen 15.00 Uhr wieder zurück. Er hat sich verschiedentlich mit mir unterhalten und ich bekam dann schließlich den Eindruck, daß ich dort nicht bleiben könne. Ich konnte mich ja auch nicht in München anmelden. Aus diesen Gründen hatte ich auch keine Lebensmittelkarten.

Der Mann, der mich von Köln aus mit nach München genommen und mich dort einige Tage in seiner Wohnung beherbergt hat, ist mir völlig unbekannt. Ich kenne weder seinen Namen noch seine Wohnung in München. Obwohl ich eindringlichst auf die Unglaubwürdigkeit meiner Angaben hingewiesen worden bin, muß ich bei der Aussage blieben, daß ich den Herrn nicht kenne und auch seinen Namen nicht angeben kann. Ich kann auch nicht erklären, wo sich die Wohnung befindet, weil mir München völlig unbekannt ist und ich in der Zeit meines Münchener Aufenthalts die Wohnung des Herrn nicht verlassen hatte. Ich weiß auch nicht, was der Mann beruflich macht, er hat mit mir über solche Sachen nicht gesprochen. Der Herr war nach meiner Schätzung etwas 58 oder 59 Jahre alt, hatte graues Haar und ein glattes Gesicht. Er war etwas größer als ich. Da ich allerdings meine Größe nicht kenne, weiß ich auch nicht, wie groß der der Herr war. Es mag etwa 1,70 m gewesen sein. Seine Figur möchte ich mit vollschlank bezeichnen, er war nicht schmal, aber auch nicht ausgesprochen dick. Er hatte einige rote Flecken im Gesicht. Er hatte mir noch erzählt, daß er etwas herzleidend sei. Weitere Einzelheiten sind mir von dem betreffenden Herrn nicht bekannt.

Es wird mir nun vorgehalten, daß alle meine Angaben nur eine leere Ausrede sind und daß ich Düsseldorf nur verlassen habe, um den Transport nicht mitmachen zu brauchen. Ich erkläre hierauf nochmals, daß ich tatsächlich nicht gewußt habe, was ich mache und ich auch tatsächlich die Absicht hatte, mich im Rhein zu ertrinken. Nachdem ich das aber nicht sofort gemacht habe, hatte ich später nicht mehr den Mut dazu.

Am 28. Mai 1942 beantragte die Gestapo Düsseldorf die Überführung von Selma Pardis in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Doch zunächst wurde sie in das Haus der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf in der Bilker Straße 25 gebracht. Am 11. Juni 1942 wurde per Fernschreiben aus Berlin verfügt: „Für die Obengenannte ordne ich hiermit Schutzhaft bis auf weiteres an. (…) da sie sich ihrer Evakuierung durch unerlaubte Entfernung aus ihrem Wohnort entzieht, die bevölkerungspolitischen Massnahmen der Reichsregierung sabotiert. Sie ist dem am 15.6.42 von dort abgehenden Evakuierungstransport anzuschliessen.

Am Montag, den 15. Juni 1942 wurde Selma Pardis ins Ghetto Izbica deportiert. Für diesen Transport waren eigentlich keine jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus Düsseldorf vorgesehen, da diese ja bereits mit dem Transport vom 22. April 1942 deportiert worden waren. Dennoch wurden 12 jüdische Bürgerinnen und Bürgern aus Düsseldorf, darunter Selma Pardis, zusammen mit 13 Personen aus Mönchengladbach und zwei aus Grevenbroich am Vortag der Deportation zunächst in Düsseldorf im Haus der Jüdischen Gemeinde in der Bilker Straße 25 „konzentriert“. Dann wurden sie zum Düsseldorfer Hauptbahnhof gebracht, wo der Zug von Koblenz kommend planmässig gegen 5 Uhr morgens eintreffen sollte. Tatsächlich traf der Zug mit 225 Minuten Verspätung am Düsseldorfer Hauptbahnhof ein, dass bedeutet, dass Selma Pardis und die Gruppe der zur Deportation vorgesehenen Personen mehrere Stunden für „normale“ Bahnreisende sehr sichtbar gewesen sein müssen.

Der nächste Halt des Zuges war dann Duisburg Hbf. Dort mussten jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Krefeld, Geldern, Kempen und Wesel zusteigen. Sie waren zuvor im Haus der Jüdischen Gemeinde Duisburg in der Junkernstraße 2 „konzentriert“ worden. Im Essener Hauptbahnhof stiegen weitere Personen ein, dann fuhr dieser Deportationstransport ins Ghetto Izbica. In einem Fernschreiben der Gestapo vom 16. Juni 1942 heißt es: „Am 15. Juni 1942 10.15 (3 Stunden 15 Minuten Verspätung) hat Transportzug DA Nr. 22 Koblenz – Izbica den Abgangsbahnhof Essen Hbf in Richtung Izbica mit insgesamt 1003 Juden verlassen.“ Von dieser Deportation ist kein Überlebender bekannt. Vermutlich wurde der gesamte Transport kurz nach der Ankunft im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf