Gedenkbuch

Sostheim, Walter

Am 13. November 1891 kam Walter Sostheim in Lippstadt als Sohn von Samuel und Johanna Sostheim, geborene Grüneberg, zur Welt. Er hatte vier Geschwister: Erna Sostheim (27.06.1894 Lippstadt – 21.01.1975), Grete (Margarete) Sostheim (01.09.1888 Lippstadt – 00.09.1942 Kulmhof [Chełmno]), Erich Sostheim (*17.07.1896 Lippstadt) und Elfriede Sostheim (1890 – 1899).

Walter Sostheim absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und heiratete Ruth Arnstein. Im Ersten Weltkrieg kämpfte Walter Sostheim als Soldat. Er erhielt viele Kriegsauszeichnungen: u.a. Die Erinnerungsmedaille mit Schwertern in den Ländern Österreich, Ungarn und Bulgarien, das Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer und am 11. Dezember 1918 das Eisernen Kreuz II. Klasse. 

Nach dem Krieg wirkte er in Lippstadt für die familieneigene Bürstenfabrik E. Sostheim. Am 3. März 1919 verstarb seine Mutter Johanna Sostheim in Lippstadt im Alter von 54 Jahren. Am 27. November 1920 verstarb auch sein Vater Samuel Sostheim. Beide wurden in Lippstadt auf dem Jüdischen Friedhof begraben. Nach dem Tod seines Vaters übernahm Walter Sostheim 1921 die elterliche Firma „E. Sostheim“ zusammen mit seinem Onkel Max Sostheim (1862-1932). 1928 feierte die Firma 60-jähriges Bestehen.

Walter Sostheim engagierte sich persönlich und finanziell in verschiedenen Verbänden und Einrichtungen, u.a. als Vorstandsmitglied in der Reichsvereinigung der Juden, als Repräsentant und Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde und Vorsitzender der Ortsgruppe Lippstadt des Zentralverbandes deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Im November des Jahres 1929 wurde er für die Stadtverordnetenwahl für die Liste „Wirtschaftlich-Sozialer Volksblock“ aufgestellt. Seine Adresse war zu diesem Zeitpunkt Wiedenbrückerlandstraße 14.

Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde das berufliche Auskommen und der Alltag der jüdischen Familie Sostheim immer schwieriger. Bereits im Juli 1933 wurde Walter Sostheim durch den Landrat genötigt, seine weiblichen Mitarbeiterinnen in der Bürstenfabrik durch Männer ersetzen zu lassen. Ab dem 12. März 1935 waren anstelle des verstorbenen Max Sostheim (1862-1932) seine Töchter Anna Sostheim, Toni Sostheim, Meta Sostheim und Else Sostheim Mitgesellschafterinnen der Firma.

Im Zuge der Verhaftungen der Pogromnacht 1938 wurde Walter Sostheim verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Mit der Häftlingsnummer 011950 wurde er dort dem Block 41 zugewiesen. Am 15. Dezember 1938 wurde Walter Sostheim aus der Haft entlassen. 

Am 7. Januar 1939 musste die Bürstenfabrik „E. Sostheim“ zwangsverkauft werden. Die Firma wurde am 11. Februar 1939 aus dem Handelsregister gelöscht. Walter Sostheim verließ daraufhin mit seiner Familie seine Heimatstadt Lippstadt und zog nach Düsseldorf in die Gartenstraße 112. Das Haus gehörte seinem Onkel Simon Sostheim (1868-1942). 

Walter Sostheim wurde am 27. Oktober 1941 zusammen mit seiner Frau und seinen Schwestern Grete und Erna von Düsseldorf in das Ghetto von Litzmannstadt/Łódź deportiert. Dort musste er mit ihnen und weiteren Deportierten in das Zimmer 8 der Kollektivunterkunft Fischstraße 15 einziehen. Am 1. Dezember 1941 schickte Walter Sostheim eine Postkarte an Rudolf Kremser in Düsseldorf: „Meine Lieben! Hoffentlich seid auch Ihr noch gesund und habt uns nicht vergessen. Habt Ihr unsere Nachricht empfangen? Wir warten mit großer Ungeduld auf ein Lebenszeichen von Euch. Sendet uns bitte regelmässig Geld, wenn es schon mal fünfzig Mark sind, wären wir sehr glücklich & Euch vom tiefsten Herzen dankbar. Bestellt bitte sofort unserem Onkel S.Sostheim, Martin Lutherplatz 19, herzlichste Grüsse und er möchte unserer auch gedenken; Grüsse auch an seine liebe Frau. Wir hatten von keiner Seite das geringste Lebenszeichen. Lebt wohl & und wir hoffen auf ein gesundes Wiedersehn. Herzliche Grüsse & Küsse von uns vieren, Euer getreuer Walter.“ 

Am 2. Januar 1942 erhielt Walter Sostheim eine Zahlung über 9,60 Mark und führte davon zwei Drittel als Beitrag an die Solidargemeinschaft des „Düsseldorfer Kollektivs“ ab. Walter Sostheim arbeitete im Ghetto als Dolmetscher im Büro des „Ältesten der Juden“ und nahm in dieser Funktion an Konferenzen teil. Am 6. März 1942 gab die „Abteilung für Eingesiedelte“ dem Zentralsekretariat der Jüdischen Ghettoverwaltung bekannt, wer von den „Neueingesiedelten“ ehemals reichsdeutschen Juden englische, französische, neugriechische, serbische, spanische und lateinische Schriftstücke in die deutsche Sprache übersetzen konnte. Unter den aufgeführten Personen war auch Walter Sostheim mit dem Zusatz „Militärdolmetscher im Weltkrieg“. 

Am 1. Mai 1942 erhielten Walter Sostheim und seine Familie eine Ausweisungsaufforderung für den II. Transport, die er umgehend mit einem Brief an die „Aussiedlungskommission“ zurückzunehmen versuchte. Darin wies er seine Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg nach und schrieb: „Meine hier anwesende Familie besteht aus Walter Sostheim […], Ruth Sostheim […], Erna Sostheim […], Grete Sostheim […], Lina Küper […]. (Die 4 ersten beim Collektiv Düsseldorf, die letztere vom Transport Köln I jetzt wohnhaft Sulzfelderstr. 63/77.) Alle sind gesund, arbeitsfähig und -willig. Mit meinen Schwestern lebe ich seit Kindheit zusammen selbst meine Heirat hat nichts daran geändert, ich bilde mit meinen Schwestern eine untrennbare Familie. […].“ Nach der Auflösung der Kollektivunterkünfte Mitte Mai 1942 zogen die Sostheims am 20. Mai 1942 in ein Zimmer der Wohnung 3 in der Fischstraße 14a. 

Walter Sostheim lebte trotz aller Widrigkeiten bis 1944 im Ghetto von Litzmannstadt/Łódź. Zusammen mit seinen Geschwistern wurde er im August 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort sah ihn seine Schwester Erna Sostheim, die als einzige der Familie überlebte, zuletzt auf der Rampe während der Selektion. Erna Sostheim schrieb am 9. Februar 1946 aus Lippstadt an die befreundete Familie Kremser in Düsseldorf: „Walter, Ruth und ich kamen 44 zusammen von Litzmannstadt nach Auschwitz. Der l. Walter wog damals noch 112 Pfd. und können Sie sich vorstellen, wie er gehungert hat, da war er für die schweren Arbeiten, die verlangt wurden, nicht mehr fähig.“

Scheinbar gelangte er von Auschwitz mit einem Transport zum Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort wurde er mit der Häftlingsnummer 112687 verzeichnet, und die „Veränderungsmeldung“ vom 21. Dezember 1944 vermeldete seinen Tod. 

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf