Salpeter, Doris Dora
Am 24. Februar 1928 wurde Doris Salpeter in Düsseldorf geboren. Ihre Eltern Brunhilde Bronia Issler und Oskar Salpeter hatten 1919 in Dortmund geheiratet. Gebürtig waren ihre Eltern aus Radomysl Wielki, Mielec. Ihr Vater Oskar Salpeter hat seit dem 10. November 1918 in Düsseldorf gelebt. Doris hatte zwei ältere Schwestern: Klara, die am 30. Mai 1923 zur Welt gekommen war, und Erika, die in der Familie Rika genannt wurde, die am 8. September 1925 das Licht der Welt erblickt hatte. Ihre jüngere Schwester Charlotte (Lotte) kam am 8. April 1930 in Düsseldorf zur Welt. Die Familie wohnte in der Adersstraße 8. Ihr Vater Oskar Salpeter betrieb eine Textil-Großhandel in der Charlottenstraße 13. 1930 kam er im Zuge der Weltwirtschaftskrise zu wirtschaftlichen Problemen. Die Situation der Familie verschlechterte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. In Anbetracht der zunehmenden Diskriminierung jüdischer Bürgerinnen und Bürger machte ihre Tante Pauline und deren Ehemann Julius Croland ihnen Ende des Jahres 1937 den Vorschlag, ihre Schwester Klara zu sich nach Amerika kommen zu lassen. Am 15. Juni 1938 bestieg Klara (später Kläre) Salpeter im Hamburger Hafen die SS Washington mit Ziel Amerika. Ihr Vater hatte Klara nach Hamburg begleitet.
Im August 1938 verbrachten Doris und ihre jüngere Schwester Lotte die Ferien in Sögel im Emsland. Den Ferienaufenthalt hatte die jüdische Gemeindeschwester Ella Bial organisiert. Aus Sögel schrieb Doris eine Postkarte an Kläre in Amerika: „Wie Du siehst ist es Schwester Ellas Bemühungen gelungen noch ein freies Plätzchen für uns zu erwischen. Hier auf einem Dorf nahe bei Aurich bleiben wir Lotte und ich 4 Wochen (…)“ Und ihre Schwester Lotte ergänzte: „Hier ist es sehr schön. Viele Grüße und Küße, Lotti“
„Gestern haben die Kinder Zeugnisse bekommen, die Doris, war die zweitbeste in der Klasse und auch die Rika ist ziemlich gut und Lotte wie sonst“ schrieb ihre Mutter Bronia Salpeter an Kläre am 14. Oktober 1938. Und Doris schrieb am 18. Oktober 1938: „Da die Briefe manchmal länger unterwegs sind, so kannst Du öfters schreiben, weil die l. Mutti sonst sehr besorgt ist.“
Am 28. Oktober 1938 wurde die Familie Salpeter zusammen mit anderen vormals polnischen Juden aus Düsseldorf an die deutsch-polnische Grenze abgeschoben. Am 31. Oktober 1938 schrieb ihre Mutter aus Posen an Klara: „Liebes Kind, sorge Dich nicht um uns, ich bin glücklich, dass Du nicht dabei warst“ und Rika schrieb auf die Postkarte: „Heute sind wir in Polen angekommen. Ich kann Dir nicht viel schreiben, da ich sehr müde bin.“
Am 12. November 1938 schrieb ihre Mutter Bronia Salpeter sehr ausführlich über die erfolgte Ausweisung, die als „Polenaktion“ in die Geschichte eingegangen ist: „Am 29. Oktober nachts um 2 Uhr wurde bei uns geschellt, wir waren im ersten Schlaf und haben wir nicht direkt aufgemacht, gleich darauf wurde an der Etage geschellt, natürlich hat sich der liebe Papa sehr erschrocken, sagte ich werde schon nachsehen, beim Anblick wer draußen steht, kriegte ich so einen Schrecken dar vor der Türe 3 Männer standen und gleich stürmisch sagten, hier Polizei sofort aufmachen. (Gleich wie die hereingekommen sind, haben sie gesagt ganz energisch es wäre ein Auftrag, wir müssen uns sofort anziehen und zur Wache mitgehen. Es hat kein Flehen und kein Beten geholfen, die sollen uns doch sagen warum wir in der Nacht zur Wache kommen sollen, darauf die Antwort, die wissen nichts und verlangten unsere Pässe und man musste unterschreiben, dass wir sofort Deutschland verlassen mussten und wer nicht unterschreiben wollte wurde gezwungen. In diesem Schrecken haben wir uns angezogen, darauf sagten sie auch, dass auch die Kinder müssen mit, so könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen die Angst der Kinder. Mitnehmen sagten die Beamten soll man nicht mehr wie man selbst tragen kann. (…) da hat man uns zur Wache Fürstenwall gebracht, wie wir da hingekommen sind wurde es uns dunkel vor den Augen, denn da sassen schon viele von unseren Bekannten und jeden Augenblick hat man neue Menschen zur Wache gebracht. Von da aus hat man uns ins Polizeigefängnis gebracht, inzwischen waren es einige Hundert Menschen gewesen, jede in Zellen untergebracht. Die ganze Nacht haben wir so verbracht endlich wie es hell wurde hat man uns in die Reihe gestellt und im Hof unter strenger Bewachung die Namen verlesen, aber noch immer nicht gesagt, was mit uns geschehen soll. Dann mussten wir wieder in die Zellen zurück, natürlich ohne Essen und Trinken, dann die haben etwas hereingegeben, aber man war nicht imstande etwas herunter zu kriegen und so hat man verbracht bis Freitag Abend 6 1/2 Uhr hiess es wieder wir kommen heraus und wurden wieder unter Bewachung aufgestellt aber immer noch nicht gesagt wohin wir kommen. (…) Bald darauf haben sie uns mit Wagen zur Bahn gebracht und jeden unter den Arm ein Brot gedrückt wie die ganz schweren Verbrecher, gegen 7 Uhr waren alle Menschen, die sie mitgenommen haben im Zug, unter strenger Bewachung ist der Zug abgefahren. So sind wir die ganze Nacht gefahren, ohne Essen und Trinken, denn das trockene Brot konnte man nicht herunterkriegen, und Fenster oder Tür konnte man nicht aufmachen. Um 9 Uhr morgens, das war Schabes früh, sind wir an der Polnischen Grenze angekommen. Da hat man uns erst vom Zug herausgelassen, jedem seinen Pass wiedergegeben, auf der anderen Seite stand ein Polnischer Zug, der hat uns eine Station weiter mitgenommen, viele unserer Leidensgenossen mussten dann 3-4 Stunden zu Fuß den Weg laufen bis sie die polnische Grenze erreicht haben, zu Tode abgemattet kamen wir nach Zbaszyn an, inzwischen waren es von allen Teilen Deutschlands 5-6 Tausend Menschen da. Da hat man uns in Baracken untergebracht und man sorgte auch für essen. Vor Müdigkeit lag man in den Baracken eingequescht wie die Heringe, (…) Bis Sonntagmittag haben wir uns so im Freien aufgehalten bis wir endlich nach Posen weiter gefahren sind. In Posen angekommen hat sich das Komitee unser angenommen und versorgt für Essen und Quartier. (…)“
Dora erkrankte in Polen an Scharlach und musste ins Krankenhaus. Am 21. Dezember 1938 konnte sie das Krankenhaus wieder verlassen. In der Zwischenzeit fuhr ihr Vater Oskar Salpeter mit Rika nach Krakau zu Verwandten, um zu klären, ob es dort für die Familie besser wäre. Da sie die Papiere und das Geld für die bestellten Schiffskarten nach Amerika in Düsseldorf hatten, hofften ihre Eltern, dass sie aus Polen die Genehmigung erhalten würden, nach Düsseldorf zurückzufahren, um die Ausreise in die Wege leiten zu können.
Nach Doras Entlassung aus dem Krankenhaus schrieben sie am 21. Dezember 1938 über ihre Bemühungen, zu Klara/Cläre nach Amerika zu kommen, ihre Schwester Lotte ergänzte auf dem Brief „Wir hoffen Dich bald wieder zu sehen. Hier ist es sehr kalt.“ Und Dora ergänzte: „Wie Du siehst bin ich wieder aus dem Krankenhaus. Mir geht es G.s.D. wieder gut. Wir wohnen jetzt bei sehr netten Leuten, hoffentlich kommt der liebe Vati und Rika bald nach Posen zurück.“ Im Januar 1939 war die Familie wieder in Posen vereint. Sie lebten nun nicht mehr privat, sondern mit weiteren 200 aus Deutschland Ausgewiesenen in einem jüdischen Spital.
Am 9. April 1939 war ihr Vater Oskar wieder in Düsseldorf. Er hatte eine Genehmigung bis zum 16. Mai erhalten. Vom amerikanischen Konsulat erhielt die Familie im April 1939 die Nachricht, dass sie noch sieben Jahre auf ihr Visum warten müssen. Da das polnische Komitee für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland die Bestimmung erließ, dass Rückkehrer aus Deutschland sich in ihre Geburtsgemeinde begeben sollten, konnte die Familie Salpeter nicht in Posen bleiben. Sie erhielten wegen ihrer geplanten Emigration nach Amerika eine Ausnahmeerlaubnis. Doch dann sollten auch sie sich nach Radomysl begeben.
Ende Juli 1939 fuhr ihre Mutter nach Düsseldorf. Sie hatte die Erlaubnis, dort 8 Wochen zu bleiben. Vor Beginn des Kriegsausbruchs reiste sie wieder zu ihrer Familie nach Polen zurück. Nach Kriegsausbruch flüchteten sie von Posen nach Warschau. Dort blieben sie acht Wochen. Dann gingen sie nach Mielec. Am 1. Januar 1940 schrieb ihre Schwester Rika eine Karte an Cläre. Sie schrieb: „Wie du siehst haben wir schon wieder eine neue Adresse. Unsere vorige Wohnung war nur für den Sommer und jetzt wohnen wir mit einer alleinstehenden Frau in einem großen Zimmer und Küche. (…) Hier in T.(arnow) sind sehr viele Bekannte aus D’dorf wie Wwe. Birnbach mit Hella und Pescha. Ita ist verheiratet und wohnt in Belgien während Lotti und Josef in Schanghai sind und von da aus nach USA wollen. Auch sind hier Frau und Herr Kanarek, Rosa ist in Palästina. Mechthilde und Eltern wohnen 1 Stunde von hier in einem Dorf.“
!940 lebte Dora Salpeter mit ihrer Familie weiterhin in Mielec. Ihre Schiffskarten waren mittlerweile verfallen und das Stuttgarter Konsulat gab ihnen die Nachricht, dass für sie nun das Warschauer Konsulat zuständig sei. Im Juni 1940 befanden sich die Salpeters wieder in Tarnow. Am 18. Juni 1940 schrieben sie an Cläre: „Mein geliebtes Kind! Teile Dir mit, dass wir seit einigen Tagen hier sind, denn wir konnten es nicht mehr aushalten, aber viel haben wir uns nicht verbessert. Das einzigste wäre jetzt, dass wir liebes Kind bald zusammen sein könnten.“
Die letzte Postkarte, die ihre Schwester Cläre in den Vereinigten Staaten erreichte, war am 28. September 1941 in Tarnow geschrieben worden. Ihre Schwester Rika berichtete Cläre darin: „Ich arbeitete viel (in einer Bürstenfabrik) und verdiene wenig, so daß ich den Eltern kaum helfen kann. Es ist eben nicht einfach. Liebe Cläre, ich habe hier ein nettes Mädchen aus Berlin kennengelernt, bei ihr lerne ich Deutsch, Rechnen und Hebräisch. Englisch lerne ich bei einem anderen Frl. zusammen mit Hella Birnbach“.
Die Deutschen errichteten im Juni 1942 ein geschossenes Ghetto in der Stadt Tarnow, indem alle jüdischen Familien leben mussten. Schon zuvor waren jüdische Personen genötigt worden in diesen Teil der Stadt umzuziehen. Dies betraf vermutlich auch Oskar Salpeter und seine Familie. Im September 1942 begannen die Ermordungsaktionen. Teile der Ghettobewohner, insbesondere Kinder, wurden dabei im Vernichtungslager Belzec ermordet. Wann und wo Dora Salpeter und ihre Familienangehörigen ermordet wurden, ist nicht genau zu ermitteln. Sie alle haben die Verfolgungszeit nicht überlebt.