Gedenkbuch

Sass, Rosa

geb. Gumpert

Am 29. April 1892 kam Rosa Gumpert in Düsseldorf als Tochter von Sally und Bertha Gumpert, geborene Tannenbaum, zur Welt. Sie hatte einen Zwillingsbruder namens Paul, der jedoch als Baby am 4. September 1892 in Düsseldorf verstarb. Ihr Vater Sally Gumpert gründete in Düsseldorf die Firma „S. Gumpert Hypotheken und Immobilien“. Die Familie wohnte im eigenen Haus in der Harleßstraße 8 im Zooviertel.

Am 15. Oktober 1918 heiratete Rosa Sass in Düsseldorf Jakob Sass. Ihr Mann war am 5. November 1885 in Mülheim an der Ruhr als Sohn von Gustav Sass (1851-1936) und Helene Sass, geborene Oppenheimer (1861-1915) zur Welt gekommen. Ihr Mann Jakob Sass arbeitete als Häusermakler bei der Firma ihres Vaters „S. Gumpert Hypotheken und Immobilien“ in Düsseldorf. Das Eheppar wohnte ab dem 23. Juni 1919 gemeinsam im Erdgeschoss des Hauses ihrer Eltern in der Harleßstraße 8. Im zweiten Stock des Hauses wohnten ihre Eltern.

Am 17. November 1919 kam in Düsseldorf ihre Tochter Ruth Helene zur Welt. Knapp zwei Jahre später wurde die zweite Tochter geboren. Doch die kleine Margot, die am 21. März 1921 zur Welt kam, verstarb als Baby am 8. Mai 1921. Sie wurde in einem Kindergrab auf dem jüdischen Friedhof an der Ulmenstraße begraben.

Ihre Tochter Ruth erinnerte sich später an das erste Auto ihres Vaters: „Als ich fünf Jahre alt war, kaufte mein Vater das erste Auto. Da er selber noch nicht fahren konnte, wurde ein Chauffeur angestellt. Ich fühlte mich nicht sehr wohl in dem Auto. Ich erinnere mich, dass bei Sonntagsausflügen öfters gehalten werden musste. Ich musste aussteigen und Luft schnappen, es ging mir zu schnell und ich hatte ein Gefühl der Unsicherheit. Mein Vater nahm Fahrstunden und bekam nach kurzer Zeit seinen Führerschein. Von der Minute an, wo er das Steuer in die Hand nahm, fühlte ich mich wohl im Auto.“ 1928 verstarb ihr Vater Sally Gumpert und ihr Mann Jakob Sass führte die Firma alleine weiter. 1932 feierte er das 25-jährige Firmenjubiläum. Ihre Tochter Ruth beschrieb ihre Mutter folgendermaßen: „Meine Mutter war eine Frau mittlerer Größe, vollschlank, mit braunen Augen und dunklem braunen Haar. Sie hatte eine gute Ausbildung genossen, liebte Bücher, spielte Klavier und war eine erstklassige Köchin. Ihr Haushalt lief wie am Schnürchen. Sie war eine gute Tochter, sorgende Mutter und liebende Frau. Was meine Erziehung anbetraf, so waren gewisse Dinge sehr wichtig für sie, Respekt für Erwachsene, Disziplin und Ordnung. Der Satz „Das kann ich nicht“, existierte nicht in ihrem Lexikon. Diese Eigenschaften wurden mir täglich eingeprägt, und oft hasste ich die Disziplin und die Ordnung. Sie sah nicht gerne, wenn mein Vater mich verwöhnte. „Kinder müssen nicht alles haben“, war ein Satz, den ich oft hörte. Als Kind dachte ich oft, dass sie zu streng mit mir war. Im späteren Leben war ich ihr dafür sehr dankbar. Ich hatte Disziplin gelernt und hatte gelernt auf Dinge zu verzichten, die ich nicht haben konnte. Für viele Jahre musste ich auf Dinge verzichten, die zum täglichen Leben gehören und keine Luxusartikel waren. Oft dachte ich an sie und dankte ihr im Stillen. –

In Bezug auf die glücklichen Zeiten in Düsseldorf vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten erinnerte sich später ihre Tochter besonders an die Karnevalszeit: „Ich erinnere mich lebhaft an die Jahreszeit, wenn meine Eltern die Karnevalsbälle besuchten. In meinem Gedächtnis eingeprägt ist das Bild meiner Mutter, als Carmen verkleidet. Sie trug einen goldfarbenen Rock mit schwarzer Spitze. Eine rote Rose schmückte ihr dunkles Haar. Als Kind träumte ich, erwachsen zu sein, und selber diese Bälle zu besuchen. Dazu kam es jedoch nie.“ Auch über die Musikalität ihrer Mutter – sie spielte sehr gut Klavier – und ihre Kochkunst berichtete ihre Tochter Ruth später in ihren Erinnerungen: „Meine Mutter betrachtete Kochen als eine Kunst. Sie hatte oft Gäste, die sich gerne an dieser Kunst erfreuten. Dieses Talent habe ich von ihr geerbt. Talent war jedoch nicht genug, sie war auch eine ausgezeichnete Lehrerin. Die neuumgebaute Küche hatte einen neuen Gasherd und einen elektronischen Eisschrank.“

Nach 1933 versuchten Rosa Sass und die Familie zunächst das Beste aus der neuen schwierigen Situation zu machen.  1935 überredete sie ihr Mann Jakob Sass für eine Woche nach Holland zu fahren. Ihre Tochter berichtete in ihren Erinnerungen darüber: „Das Jahr 1935 und die „Nürnberger Gesetze“ kamen heraus. Dies versetzte meinen Eltern einen schweren Schlag. Sie waren aufgeregt, traurig und verletzt. Man hatte uns viele Bürgerrechte genommen. Vater beschloss mit meiner Mutter und mir nach Holland zu fahren. Er hatte einen guten Geschäftsfreund in Rotterdam und wollte mit ihm die Situation besprechen. – Dies machte mir Hoffnung. Vielleicht dachten meine Eltern daran auszuwandern. Viele Freunde meiner Eltern waren dabei ihre Auswanderung vorzubereiten. Wir verbrachten eine Woche in Holland.“ Doch letztlich wollte Rosa Sass ihre Mutter Bertha Gumpert nicht allein in Düsseldorf zurücklassen, und so kehrte man zunächst nach Deutschland zurück.

Am 9. Juli 1936 verstarb Ihr Schwiegervater Gustav Sass in Düsseldorf. Ihre Tochter Ruth emigrierte am 30. Oktober 1937 in die Schweiz, während Rosa Sass mit ihrem Mann in Deutschland weiterhin auf einen politischen Umschwung hofften.

Während der Pogromnacht im November 1938 befand sich ihr Mann Jakob zufällig auf einer Geschäftsreise in Holland. Als er von den Verhaftungen im Zuge des Pogroms erfuhr, kehrte er nicht nach Deutschland zurück. Glück im Unglück für ihn war, dass er fließend holländisch sprach und sich so gut verständigen konnte.

Währenddessen führ Rosa Sass in Panik an die deutsch-holländische Grenze, um ihren Mann vor einer Rückreise nach Düsseldorf zu warnen. Als er jedoch in keinem der Züge saß, fuhr sie nach Düsseldorf zurück. Ihre Tochter Ruth schrieb darüber in ihren Erinnerungen: „Als sie am Abend sah, dass mein Vater in keinem Zug war, fuhr sie zurück nach Düsseldorf. Bei Rückkehr in ihre Wohnung erwartete sie eine entsetzliche Überraschung. Ich schönes Heim war vollkommen zerstört. Die Teppiche waren zerschnitten, die Möbel beschädigt, das Geschirr zerschmettert. Sie hatte nicht eine ganze Tasse mehr im Haus. Wie sehr bedauerte ich meine arme Mutter. Ihr schönes Heim, das sie so sehr liebte war zerstört, ich konnte es kaum fassen und glauben. Die Wohnung meiner Großmutter war auch vollkommen zerschlagen.“

Ihr Mann bezog er eine Bleibe zunächst in Amsterdam. Am 12. Juni 1939 zog er nach Oegstgeest. Der Ort ist heute ein kleiner Vorort der Stadt Leiden. Zunächst wohnte er in der Prins Bernhardlaan 40 und ab dem 8. November 1939 im Haus Juffermannstraat 11. Hierhin ließ er Rosa Sass kommen. Er ließ sie heimlich über die holländische Grenze bringen. Ihre Mutter Bertha Gumpert blieb nun doch allein in Düsseldorf zurück. Am 4. August 1939 wurden Rosa und Jakob Sass in Düsseldorf amtlich abgemeldet, vermutlich erledigte ihre Mutter Bertha Gumpert diesen Behördengang.

Am 5. August 1939 schrieb Rosa Sass an ihre Tochter Ruth in die Schweiz. Sie berichtete ihrer Tochter ausführlich von ihrer Flucht: „Nun wollt Ihr doch sicher wissen wie meinen Abreise erfolgt ist. Nachdem ich 6 Wochen lang gewartet hatte (Ihr macht Euch von dieser Spannung, in der ich lebte und alles vor Oma verbergen wollte), kam Donnerstag vor 8 Tagen, also am 27. Juli ein H. [Herr] um mir zu sagen, dass ich Samstagabend zwischen 10 und 11 Uhr abgeholt würde. (Als Alibi ein Bild von Löwenstein’s). Freitags war der Geburtstag von Tante Helene (sie sagte immer: Du darfst erst nach meinem Geburtstag abreisen.) Der Geburtstagscafé war Samstagnachmittag. Gegen 9 Uhr Samstagabend holte mich Inge (verabredungsgemäß) noch ein wenig herunter und so nahm ich Abschied von Oma – natürlich nur in Gedanken. Wie ich unten in der Wohnung ankam, brauche ich Euch wohl nicht zu schildern. Tanna nahm mich in Empfang und in ihre Arme und so warteten wir. Als es 11 Uhr war, Klara wartete mit, ging ich auf die Straße und wartete dort bis 12 Uhr und dann bin ich leise wieder hinauf. – Das war das Schlimmste und wurde es mir einen Moment übel von all dem warten. So legte ich mich in’s Bett, mit tüchtig Schlafpulver. Um 2 Uhr klopfte Onkel Louis leise und gab mir Bescheid, daß die Leute da seien. Ich weckte Klara oben (alles verabredet), nahm meine Sachen und zog mich unten an. Um 1/2 3 Uhr fuhren wir ab. Der Wagen wartete in der Brehmstraße. 1/2 4 Uhr waren wir an der Grenze. 2 Stunden haben sie uns dort gehalten, vollständig untersucht, auch die Leute, der Chauffeur musste mit seinem Wagen zurück nach Gladbach mit einem Zollbeamten und wurde der Wagen dort auseinandergenommen. Inzwischen hatte der andere Beamte seine Frau geweckt, um mich vorzunehmen. Aber sie waren für ihre Verhältnisse sehr anständig; ich war so ruhig und stand über der Situation; ich sah die Sonne leuchtend aufgehen und dachte, es muss gut gehen und so war es auch. Ach Kinder, all´ dies allein erleben zu müssen, ist furchtbar gewesen. Nun mussten wir die andere Grenze passieren; aber ich wartete immer auf die Douane und merkte nicht, daß wir längst im Lande waren und die Posten, denen wir auf den Brücken begegneten wußten alle Bescheid und nahmen keine Notiz. Ich war um 7 Uhr auf hiesigem Boden und 1/2 2 Uhr bei Vati. Er hatte mich erst am Abend erwartet; er stand wie versteinert und konnte kein Wort sagen. Die ersten 2 Tage war er so mitgenommen durch diese Aufregungen und scheint’s auch von meinem Aussehen; aber jetzt ist er ganz anders und blüht auf. Dann war noch sehr schwer: der erste Brief an Oma – wie wird sie es aufnehmen u.s.w.

In den Niederlanden meldeten sie sich beim amerikanischen Konsulat und warteten auf ein Einreisevisum für die USA. Gleichzeitig versuchte ihre Tochter Ruth, ihren Eltern die Einreise nach Palästina zu ermöglichen. Am 10. Mai 1940 überfielen deutsche Truppen die Niederlande. Für Rosa Sass und ihren Mann wurden die Emigrationswege dadurch noch viel schwieriger.

Am dem 5. August 1940 zogen die beiden einige Häuser weiter in die Juffermannstraat 38. In der zweiten Hälfte des Jahres 1940 kam die Anweisung für die jüdische Bevölkerung, dass sie das Küstengebiet verlassen müssen und ins Landesinnere zu ziehen haben. Am 16. Oktober 1940 gingen Rosa Sass und ihr Mann daraufhin nach Hilversum. Hier wohnten sie unter der Adresse Sterrel 9. Am 20. Januar 1941 erfolgte der Umzug in das Haus van Lenneplaan 29. Zu dieser Zeit musste sich Rosa Sass, wie alle jüdischen Einwohnerinnen, bei den Behörden registrieren lassen. Ein weiterer Umzug war am 5. Juni 1941 in ten Katelaan 4. Dort wohnten sie zur Untermiete. Die deutschen Behörden ließen am 24. April 1942 eine (zweite) Inventur ihrer Wertgegenstände durchführen: „Nach Inventarliste Nr. 11 a von 18/4 ’42. Entgegen der Inventarliste fehlen folgende Gegenstände: 1 Ofen m/ Kohleneimer, Divandecke, 2 Nachttischen, zwei 1 pers. eiserne Betten/ Spiral, 3 Kapokmatratzen, 1 Kapokmatratze, 1 Keil Kissen, 4 Kissen, 2 Steppdecke, 2 Wolldecke, 2 Koffer, 1 Hütekasse, Herren & Damenkleider, Toilettenartikel, 2 Federdecke, Messer, Gabeln, Löffel. An die N.S.V. verblieben die folgende Sachen“.

Ab dem 3. Mai 1942 konnte Rosa Sass nur noch mit einem sogenannten Judenstern an der Kleidung das Haus verlassen. Ab dem 20. Oktober 1942 wohnten Rosa Sass und ihr Mann in Amsterdam. Die Adresse war die Niersstraat 53 II zur Untermiete bei der Familie Cohen in Amsterdam. Als ihre Tochter Ruth schließlich die ersehnten Visa für sie in Händen hielt, war es zu spät: sie waren bereits vom Durchgangslager Westerbork in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert worden.

Rosa und Jakob Sass waren wegen ihrer jüdischen Abstammung zunächst am 26. Januar 1943 in das Konzentrationslager Vught in Holland eingeliefert worden. Von dort kamen sie am 1. Juli 1943 in das Durchgangslager Westerbork. Am 16. November 1943 wurden die beiden von dort in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Das genaue Todesdatum konnte nicht festgestellt werden, vermutlich war es direkt nach der Ankunft am 19. November 1943.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf