Gedenkbuch

Anschel, Rudolf Philipp

Am 29. Mai 1894 kam Rudolf Anschel in Bochum zur Welt. Seine Eltern Richard und Hedwig Anschel, geborene Felsenthal, hatten 1890 in Bochum geheiratet.  Rudolf hatte zwei Schwestern: die ältere Hildegard war 1892 geboren worden, die Schwester Edith war ein Jahr jünger als Rudolf. Wenige Tage vor Rudolfs sechsten Geburtstag verstarb sein Vater in Bochum. Sechs Jahre später, am 21. Juni 1906, heiratete seine verwitwete Mutter den Kaufmann Theodor Sondheimer. Sein Stiefvater war am 2. Dezember 1877 in Würzburg zur Welt gekommen. Er adoptierte Rudolf und seine Geschwister.
Seine ältere Schwester Hildegard heiratete 1910 den Kaufmann Philipp Weinberg und gründete mit ihm eine Familie in Düsseldorf. Die Tochter Ruth wurde 1912 in Düsseldorf geboren.

Während des Ersten Weltkrieges kämpfte Rudolf Anschel als Soldat. Während eines Heimaturlaubs stellte in seine Tante Jenny in Düsseldorf Irma Meyer vor. Die beiden verlobten sich 1918 noch während des Krieges. Seine Frau war am 27. Juni 1894 in Viersen als Tochter von Max und Emma Meyer, geborene Wolff, zur Welt gekommen. Nach Ende des Krieges heirateten die beiden am 10. August 1919 und bezogen eine gemeinsame Wohnung in Düsseldorf im Haus Humboldtstraße 63. Am 11. Januar 1921 kam der Sohn Klaus (eigentlich Claus Richard) in Düsseldorf zur Welt. Die Tochter Lore folgte am 22. April 1923. Die Familie wohnte in der Humboldtstraße 63, Ecke Schillerplatz.

Rudolf Anschel arbeitete in der Papierbranche. Mit seinem Schwager Ernst Meyer gründete und führte er dann die Firma „Pia Papierindustrie“ in Köln-Mülheim.
1931 wurde seine Ehe geschieden und seine Frau Irma zog mit den beiden Kindern zunächst nach Viersen zu ihrer verwitweten Mutter Emma Meyer.

1933 wohnte Rudolf Anschel in der Lindenstraße 123 in einer Wohnung in der zweiten Etage. In dieser Zeit arbeitete Rudolf Anschel als Kaufmann. Später wohnte seine geschiedene Frau mit den beiden Kindern wieder in Düsseldorf. Rudolf Anschel besuchte häufig die Kinder in der Bongardsstraße 6. Anfang 1938 konnte sein Sohn Klaus von Bremen mit dem Schiff nach Australien emigrieren. Am Kai in Bremen war es das letzte Mal, dass Klaus Anschel seinen Vater sah. Am 14. Juni 1938 wurde Rudolf Anschel von der Düsseldorfer Gestapo verhaftet. Zum Zeitpunkt der Verhaftung war er in der Beethovenstraße 35 gemeldet. Er wurde im Rahmen der „Aktion Juni 1938 (ASR)“ verhaftet.

Von Konzentrationslager Sachsenhausen wurde er am 21. Juni 1938 in das Konzentrationslager Dachau überführt. In Dachau wurde im Haftbuch „Grunerstraße 26“ als Adresse eingetragen. Dort wohnten seine Eltern in Düsseldorf seit vielen Jahren. Die gutbürgerlich eingerichtete Wohnung in der ersten Etage mit schweren Eichenmöbeln, wertvollen Gemälden, einem Klavier und einer wertvollen Bibliothek wurde im Zuge des Pogroms in den Vormittagsstunden des 10. November 1938 restlos zerstört. Heino Kraus, ein früherer Mitbewohner, erinnerte sich nach dem Krieg: „Dann gingen die SA-Lumpen nach oben in die Wohnung. Kurz darauf hörte ich oben Getöse und aus dem Fenster wurden nachstehende Gegenstände auf die Straße geworfen: Wäsche, Bilder, Porzellan, Kleider, Papiere, ein paar Kleinmöbel, Bücher und kleine Ziergegenstände. Zuletzt folgte dann noch der Topf mit der Erbsensuppe.“ Aufgrund der Ereignisse zogen seine Eltern am 3. Januar 1939 in das Haus Duisburger Straße 77 um. Klaus Anschel berichtete in einem Interview mit der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf darüber: „die ganze Familie, (…), die haben furchtbar viel mitgemacht in der Kristallnacht, alle ihre Möbel sind aus den Wohnungen rausgeschmissen worden, (…), und mein Großvater… wie nennt man das? – ist irrsinnig geworden, meine Großmutter musste ihn in die Irrenanstalt nach Grafenberg bringen, aber er ist dann wieder normal geworden. (…) Gott sei Dank, meine Mutter wohnte in der Rochusstraße, hatte eine kleine Wohnung mit meiner Schwester und die Besitzerin hat unten gewohnt und meine Mutter muss, wie gesagt ich war ja schon nicht mehr da, die muss gut mit ihr gestanden haben, und die Nazis kamen in der Kristallnacht ins Haus und sagten, „Wohnen hier Juden?“, und diese Dame hat gesagt: „Nein“. So sind meine Mutter und Schwester verschont geblieben.“

Am 16. Mai 1939 schrieb Rudolf Anschel aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen an seine Tochter Lore. Anlässlich ihrer Emigration hatte er die Erlaubnis erhalten, ihr einen Abschiedsbrief zu schreiben. „Du kannst Dir denken wie es mich gepackt hat, als ich las, wie schnell ihn nun fortgeht, ich bin ganz niedergedrückt, euch nicht mehr sprechen zu können. Auf der anderen Seite bin ich aber vernünftig und freue mich mit Euch, daß das Ziel nun erreicht und ihr bald beim lieben Claus seid.“ Und er schrieb: „Bin ich wieder da, so muß ich erst Mutter zur Seite stehen“. Und an seine geschiedene Frau gerichtet schrieb er: „Und Dir liebe Irma danke ich auch für alles und gönne Dir so gerne die Freude bald den lieben Jungen in Deine Arme schließen zu können und wirst Du Dich dann bald erholen. Erzähle Claus alles und wie ich auch an ihm hänge, weiss er ja. Wenn ich wieder frei bin, schreibe ich sofort.“

Die Hoffnung auf eine baldige Freilassung erfüllte sich jedoch nicht. Während Rudolf Anschel als Häftling im KZ Dachau war, verstarb seine Mutter Hedwig am 16. November 1940 in Düsseldorf. Im Jahr 1941 wurde er mehrfach in verschiedene Konzentrationslager überführt: aus Dachau am 22. Januar in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg. Von dort am 29. April wieder nach Dachau. Dort war er am 14. Juni 1941 im Strafblock untergebracht. Am 5. Juli 1941 kam er in das Konzentrationslager Buchenwald. Dort wurde er am 15. August 1941 dem Arbeitskommando 41 (Baukolonne Lagerstraße) zugeteilt. Ob er dort erfuhr, daß sein Stiefvater Theodor Sondheimer und seine Schwester Hildegard mit ihrem Mann am 10. November 1941 vom Düsseldorfer Güterbahnhof Derendorf in das Ghetto von Minsk deportiert wurden, ist nicht bekannt. Rudolf Anschel verstarb an 12. Februar 1942 im KZ Buchenwald. Seine Urne wurde auf dem jüdischen Friedhof in Düsseldorf an der Ulmenstraße begraben.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf