Gedenkbuch

Vogelsang, Edgar

Am 17. März 1913 wurde Edgar Vogelsang als Sohn von Rosalie Vogelsang geboren. Seine Mutter war am 23. Juni 1884 in Asseln (heute ein Stadtteil von Dortmund) als Tochter von Moses und Sophie Vogelsang, geborene Meyer, zur Welt gekommen. Sein Vater hieß Gustav Vogelsang. Seine Mutter heiratete um 1925 den aus Wien nach Düsseldorf gezogenen Siegfried Stefansky. Sein Stiefvater stammte aus Boskowitz, wo er am 2. November 1889 zur Welt gekommen war.

Edgar Vogelsang wohnte zusammen mit seinen Eltern ab dem 22. Dezember 1925 in der Schützenstraße 39 in Düsseldorf. Das Haus gehörte seinem Großvater Moses Vogelsang (1854-1933). 

Ende der 1930er Jahre arbeitete Edgar als Schlosser. 1940 war er in Düsseldorf im geschlossenen Arbeitseinsatz für jüdische Arbeitslose eingesetzt. Er schrieb darüber am 12. Dezember 1940 in einem Brief an seine Freundin Herta Stern, die sich in den Niederlanden im Werkdorp Wieringermeer befand und auf die Emigration nach Palästina wartete: „[…] Aus Deinen Zeilen ersehe ich, daß es Dir verhältnismäßig gut geht. Wir sind ja heute schon mit zu wenigem zufrieden. Du bist doch jedenfalls schon einen guten Schritt vorwärts mit Deiner endgültigen Auswanderung. Ich nehme doch an, daß Ihr von dort viel größere Chancen habt weiterzuwandern. […] Auch ich arbeite. Darf arbeiten. […] Wir arbeiten alle bei der Stadt, beim Straßenbauamt. Unser Durchschnittsverdienst ist wöchentlich ca. RM 23,00. Jetzt im Winter beginnt die Arbeitszeit morgens um 8,30 Uhr, eine halbe Stunde Mittag, Feierabend ist um halb sechs Uhr. Du kannst Dir wohl vorstellen, wenn wir abends nach Hause kommen, wissen wir, was wir den ganzen Tag gemacht haben. Die letzten Tage war ich so müde, daß ich mich wirklich nicht dazu aufraffen konnte um Dir zu schreiben. […] Dein Eddy“. 

Über seine eigenen Ausreisebemühungen schrieb Edgar am 17. Januar 1941: „Ich habe die Wartenummer 29487 und hatte bisher gar keine Chance jemals nach Amerika zu kommen, da ich keinen Affidavitsteller hatte. Zufällig bekomme ich vorgestern einen Brief von Amerika von einer Bekannten von mir welche mir schreibt ich soll meine Personalien einsenden sie wollte mir ein Affidavit stellen. Du siehst es gibt doch Menschen, die an mich denken und die versuchen mir zu helfen. Den letzten Brief von dieser Bekannten welche schon 3 Jahre drüben ist, erhielt ich genau vor einem Jahr. Nie habe ich geglaubt jemals wieder etwas davon zu hören. Meine Freude kannst Du Dir wohl kaum vorstellen. Hoffentlich gelingt es nun die Angelegenheit zu Ende zu führen. […]“

Im gleichen Brief berichtete er vom wenigen Alltag neben der anstrengenden Arbeit: „Chanuka wurde bei uns nicht gefeiert. Wir denken ja auch nicht mehr ans feiern. Das einzige was wir an Abwechslung haben ist hier und da eine Kinovorführung vom Kulturbund in unserem Gemeindehaus. Wann ich das letzte mal getanzt habe, weiß ich schon nicht mehr. Ich würde auch heute noch gerne tanzen, aber man müsste doch andere Gedanken haben. In dem Zustand in dem wir uns befinden hat man wohl keine Lust dazu, ganz abgesehen vom Mangel an Gelegenheit. 

In der Folgezeit versuchte Edgar Vogelsang seine Auswanderung in die Wege zu leiten. Doch die formalen Anforderungen waren hoch. Er schrieb Herta Stern am 26. Februar 1941 darüber: „Was das Tempo in Stuttgart anbelangt, so stimmt das schon, was man sich davon erzählt. Es kommt im Moment in erster Linie darauf an, ausreichende Papiere zu haben. Wer die hat, kann auch mit einer hohen Nummer in allernächster Zeit schon nach Stuttgart vorgeladen werden. Meine Nummer 29487 ist noch nicht einmal so hoch und hätte ich alle Chancen bald nach U.S.A. zu kommen, wenn nur bald meine Papiere einträfen. Zu diesem Zweck werde ich in den nächsten Tagen ein Telegramm nach dort aufgeben. Die Briefe gehen von hier auch 4 – 6 Wochen nach drüben. Selbst Luftpostbriefe. Letzten Endes ist es ja auch nicht so einfach mit den Papieren, da man außer einem ausreichenden Affidavit, ein Akreditiv und auch noch die Passage haben muß. Also immerhin an den Affidavitsteller hohe Anforderungen gestellt werden. Insbesondere wo es sich in meinem Falle nicht um Verwandte, sondern um Freunde handelt. Obwohl ich der Ansicht bin, daß meine Bekannte auch dies in Erwägung gezogen hat und sich ja auch sagen muß, dass ein Affidavit alleine nicht genügt. Hoffentlich enttäuschen mich meine Hoffnungen diesmal nicht wieder wie schon so oft. […]“ 

Doch Edgar Vogelsangs Hoffnungen auf die Emigration wurden zerschlagen. Auch seine Freundin in den Niederlanden hatte ihm von der gescheiterten Emigration ihrer Eltern geschrieben. In einem Brief vom 7. August 1941 antwortete Edgar Vogelsang im Bezug darauf: „Daß Deine lieben Eltern nun nicht mehr fort können ist wirklich sehr bedauerlich, nachdem sie doch kurz vor der Ausreise standen. Aber leider geht es vielen jetzt eben so. Jammern und Klagen nützt aber nichts, es ist eben eine Tatsache, mit der man sich abfinden muß, so furchtbar es auch ist.“ Er schrieb weiter: „Leider habe ich von meiner Bürgschaftsstellerin nichts mehr gehört. Was da passiert ist, weiß ich nicht. Jedenfalls bestehen wohl für mich überhaupt keine Aussichten, vorläufig wenigstens, fort zu kommen. […] Zuversicht habe ich jedenfalls keine mehr.

Im gleichen Brief berichtete Edgar Vogelsang auch über seine aktuelle Arbeit: „Die Arbeit mit welcher ich im Moment beschäftigt bin, ist sogar sehr interessant. Wir regulieren den durch Hochwasser beschädigten Deich. Eine nicht sehr anstrengende aber vielseitige Arbeit. Zudem machen wir auch die Ausmessungen für die neue Regulierung, so daß ich sogar noch allerhand dabei lernen kann. Leider ist das Wetter nicht mehr schön, sonst wäre es das reinste Sommervergnügen, den ganzen Tag am Rhein zu stehen und zu arbeiten. Wenn wir auch sehr scharf ran müssen, so ist das nicht so sehr schlimm. Wir wollen ja arbeiten und können auch arbeiten. […] In meinem Beruf kann ich leider nicht arbeiten, obwohl ich es natürlich lieber tun würde als das was ich jetzt mache. Aber auch da ist nichts gegen zu machen und man muß sich eben abfinden.“ 

Am 22. Oktober 1941 heiratete Edgar Vogelsang die aus Neuss stammende Helga Neuburg, nur wenige Tage bevor sie beide am 27. Oktober 1941 von Düsseldorf in das Ghetto von Litzmannstadt/Łódź deportiert wurden. Dort mussten die beiden mit 54 weiteren Personen im Zimmer 4 der „Düsseldorfer Kollektivunterkunft“ Fischstraße 15 leben. Über das „Düsseldorfer Kollektiv“ erhielt er eine Brotkarte mit der Nummer 168937. Am 3. und 5. Dezember 1941 versuchte er, Postkarten an Else Bienbeck, Cranachstraße 38 in Düsseldorf, und an seine Eltern zu verschicken. Else Bieneck bat er: „Liebe Else, Du könntest mir doch sicher auch behilflich sein. Wir können hier Geld empfangen. Päckchen brauchst Du nicht zu schicken. Aber für Geld wäre ich Dir sehr dankbar. Du könntest Dich auch deswegen an Albert Josef, Neuß, Niederwallstraße 15 wenden. […] Du kannst Dich auch an Frau Hornstein, Königsallee 86 wegen Geld wenden.“ 

In der Postkarte an seine Eltern Siegfried und Rosa Stefanski im Ghetto von Minsk vom 3. Dezember 1941 schrieb Edgar Vogelsang: „Meine lieben lieben Eltern, endlich weiß ich nun, wo Ihr seid. Franz Schwarz schrieb mir gestern, daß Ihr auch mit nach dort gekommen seid. Es ist ganz entsetzlich, aber wir müssen es tragen. Habt nur Mut, es wird sich noch Alles zum Guten wenden. Hoffentlich habt Ihr mehr Lebensmittel als ich mitgenommen. Wir bedauern unendlich, daß wir nicht mit Euch zusammen sein können. Hätte man das Alles gewusst, man hätte manches anders gemacht.“ Und er berichtet weiter: „Uns geht es bis auf etwas Erkältung und Durchfall einigermaßen. Arbeit habe ich auch schon.“ Und er schließt die Postkarte mit dem Mut machenden Appell an seine Eltern: „Liebe Eltern lasst bald sehr bald von Euch hören. Achtet auf Eure Gesundheit, dann kommen wir wieder zusammen. Das sei immer Eure Hoffnung. Tausend Grüße und Küsse Euer Eddie.“ Beide Postkarten erreichten ihre Empfänger nicht, sonderm verblieben im Ghetto.

Im Dezember 1941/Januar 1942 erhielt Edgar Vogelsang eine Zahlung über 19,30 Mark, von der er zwei Drittel als Beitrag an die Solidargemeinschaft des „Düsseldorfer Kollektivs“ abführte. Von der Deportation mit dem II. Transport am 5. Mai 1942 wurde das Ehepaar Vogelsang zurückgestellt.
Nach der Auflösung der Kollektivunterkünfte konnten sie zunächst in die Königsberger Straße 34 umziehen und am 3. Juni 1942 mit sechs Personen ein Zimmer in der Wohnung 14 in der Holzstraße 49 beziehen. In seiner am 6. Juni 1942 ausgefüllten Anmeldekarte trug Edgar Vogelsang im Feld Beruf „Portier im Ambulatorium III“ ein. Das Ambulatorium III lag im Ghetto von Łódź in der Hanseatenstraße 34/36. 

Im September 1942 lebten Edgar und Helga Vogelsang im Ghetto in der Wohnung 14 in der Schlosserstraße 2 zusammen mit den Schwiegereltern Else und Julius Neuburg und dem Ehepaar Hedwig und Walter Rosenstein aus dem ehemaligen „Düsseldorfer Kollektiv“. Für alle Bewohner wurde im Hausbuch eingetragen, dass sie im September 1942 aus dem Ghetto von Litzmannstadt/Łódź „ausgesiedelt“ worden sind. 

Nur Edgar Vogelsang überlebte die Aktionen während der sogenannten „Sperre“ und lebte bis Mitte des Jahres 1944 im Ghetto von Litzmannstadt/Łódź. Im Zuge der Auflösung des Ghettos im August 1944 wurde er in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort vermutlich sofort ermordet. 

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf