Gedenkbuch

Weinberg, Hildegard

geb. Anschel

Am 29. Oktober 1892 kam Hildegard Anschel in Bochum zur Welt. Ihre Eltern Richard und Hedwig Anschel, geborene Felsenthal, hatten 1890 in Bochum geheiratet.  Hildegard war die älteste von drei Kinder: ihr Bruder Rudolf kam 1894 und ihre Schwester Edith 1895 in Bochum zur Welt. Als Hildegard sieben Jahre alt war verstarb ihr Vater in Bochum. Sechs Jahre später, am 21. Juni 1906, heiratete ihre verwitwete Mutter den Kaufmann Theodor Sondheimer. Ihr Stiefvater war am 2. Dezember 1877 in Würzburg zur Welt gekommen. Er adoptierte die 14-jährige Hildegard und ihre Geschwister.
Im Jahr 1910 verlobte sich Hildegard mit dem Kaufmann Philipp Weinberg. Am 9. Juli 1911 heirateten die beiden. Ihr Mann stammte aus Pfarrweisach in Unterfranken, wo er 1881 zur Welt gekommen war. Er wohnte zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits in Düsseldorf. Seine damalige Adresse war Hüttenstraße 36. Ihre Tochter Ruth kam am 29. April 1912 in Düsseldorf zur Welt.
Ihr Mann arbeitete in der Papierbranche. Mit seinem Schwiegervater Theodor Sondheimer hatte er 1910 die Papierwarenfabrik „Exakt“ gegründet. In den 1920er Jahren wohnte Hildegard Weinberg mit ihrer Familie in der Sternstraße 74.

Am 9. März 1937 heiratete ihre Tochter Ruth den Kaufmann Lothar Hirschkind. Ihr Schwiegersohn stammte aus Frankfurt am Main, wo er 1899 zur Welt gekommen war. Hildegard Weinberg wohnte nun im Haus Cranachplatz 4. Ihre Tochter bezog mit ihrem Mann eine Wohnung in der zweiten Etage im Nachbarhaus, Cranachplatz 2. Ihre Eltern wohnten Ende der 1930er Jahre nicht weit entfernt in der Grunerstraße 26. Die gutbürgerlich eingerichtete Wohnung in der ersten Etage mit schweren Eichenmöbeln, wertvollen Gemälden, einem Klavier und einer wertvollen Bibliothek wurde im Zuge des Pogroms in den Vormittagsstunden des 10. November 1938 restlos zerstört. Heino Kraus, ein früherer Mitbewohner, erinnerte sich nach dem Krieg: „Dann gingen die SA-Lumpen nach oben in die Wohnung. Kurz darauf hörte ich oben Getöse und aus dem Fenster wurden nachstehende Gegenstände auf die Straße geworfen: Wäsche, Bilder, Porzellan, Kleider, Papiere, ein paar Kleinmöbel, Bücher und kleine Ziergegenstände. Zuletzt folgte dann noch der Topf mit der Erbsensuppe.“ Aufgrund der Ereignisse zogen ihre Eltern am 3. Januar 1939 in das Haus Duisburger Straße 77 um. Hildegards Neffe Klaus Anschel, der Sohn ihres Bruders Rudolf, berichtete in einem Interview mit der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf darüber: „die ganze Familie, (…), die haben furchtbar viel mitgemacht in der Kristallnacht, alle ihre Möbel sind aus den Wohnungen rausgeschmissen worden, (…), und mein Großvater… wie nennt man das? – ist irrsinnig geworden, meine Großmutter musste ihn in die Irrenanstalt nach Grafenberg bringen, aber er ist dann wieder normal geworden. (…).“

Auch die Wohnung von Hildegard und Philipp Weinberg an Cranachplatz 4 war überfallen und zerstört worden Das gleiche passierte in der Wohnung ihrer Tochter Ruth im Nachbarhaus. Ihrer Tochter Ruth gelang zusammen mit ihrem Mann im März 1939 die Ausreise nach Großbritannien.
Im April 1939 zogen Hildegard Weinberg und ihr Ehemann Philipp in das Haus Rochusstraße 57. Ihr Bruder Rudolf Anschel befand sich seit 1937 in Haft. Aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen  schrieb er am 16. Mai 1939 an seine Tochter Lore: „Bin ich wieder da, so muß ich erst Mutter zur Seite stehen“.  Seine Hoffnung auf eine baldige Freilassung erfüllte sich jedoch nicht. Noch während er als Häftling im KZ Dachau war, verstarb die Mutter Hedwig am 16. November 1940 in Düsseldorf. In dieser Zeit korrespondierte Hildegard Weinberg regelmässig mit ihrer Tochter Ruth, die sich mittlerweile mit ihrem Ehemann Lothar Hirschkind in Amerika befand.  Am 7. Januar 1941 schrieb Hildegard Weinberg: „Vater (Theodor Sondheimer) ist immer bei jeder Gelegenheit in Tränen aufgelöst, der arme Kerl. Er sagt, er komme sich vor wie ein herrenloser Hund und richtig helfen kann man ihm ja auch nicht. Er ist am liebsten bei uns und kommt meistens schon am Vormittag auf eine halbe Stunde zu uns. In seinem Zimmer hält er es überhaupt nicht aus.“ Und sie fügte an: „Ich trage heute zum ersten Mal einen schwarzen Pullover, an dem meine liebe selige Mutter so fleissig gestrickt hat. Frau Alexander hat ihn mir fertig gearbeitet.“

Seit Ende 1938 bemühten sich Hildegard Weinberg und ihr Mann sowohl um die eigene Emigration als auch die ihres Stiefvaters Theodor Sondheimer. Es schien nun alles beantragt zu sein. Hildegard Weinberg schrieb am 17. Juni 1941 an ihre Tochter Ruth: „Bleibt recht gesund und betet, dass alles so bleibt wie bisher und wir am 5.9. gesund unser Schiff in Lissabon erreichen.“  Doch die Emigrationspläne zerschlugen sich, weil sich die Visa Erteilung verzögerte.

Hildegard Weinberg wurde mit ihrem Mann und ihren Stiefvater Theodor Sondheimer am 10. November 1941 vom Düsseldorfer Güterbahnhof Derendorf in das Ghetto von Minsk deportiert. Sie haben nicht überlebt. Ihr Bruder Rudolf Anschel verstarb an 12. Februar 1942 im KZ Buchenwald. Seine Urne wurde auf dem jüdischen Friedhof in Düsseldorf an der Ulmenstraße begraben.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf