Gedenkbuch

Mayer, Paula

geb. Blum

Am 16. Dezember 1878 wurde Paula Blum Mayer als Tochter des Ehepaars Samuel und Therese Blum, geborene Strauss, in Trier geboren. Sie hatte mehrere Geschwister: Adolf (1873-1874), Justine (geboren 1866 in Herxheim) und Emma Esther (geboren 1875 in Herxheim). Ihr jüngster Bruder, Robert, kam am 1. September 1880 in Trier zur Welt.
Ihr Vater Samuel Blum (1837-1896) stammte aus Herxheim bei Landau, Kreis Südliche Weinstraße. Ihre Mutter Therese war 1839 in Illingen an der Saar zur Welt gekommen.

Paula Blum wohnte mit ihren Eltern in Trier. Dort heiratete sie am 26. März 1903 den Textilkaufmann Otto Mayer. Ihr Mann war am 28. März 1875 als Sohn des Ehepaars Moses und Martha Mayer, geborene Löb, in Kleinbockenheim zur Welt gekommen. Dessen Bruder Albert Mayer war Trauzeuge. Im gleichen Jahr zog das frischverheiratete Ehepaar nach Düsseldorf. Ihr Mann Otto Mayer mietete Büros in der Heinestraße 2 und arbeitete als Repräsentant für Textilstoffe.

Am 11. November 1903 wurde der erste Sohn in Düsseldorf geboren. Er erhielt den Namen Erich. Zum Zeitpunkt seiner Geburt wohnte die Familie in der Bahnstraße 61. Später wohnte die Familie bis 1912 in einer Wohnung in der zweiten Etage des Hauses Grupellostraße 28. Am 2. Juli 1913 kam in Düsseldorf der zweite Sohn, Kurt (später Uriel), zur Welt.
Im Jahr 1920 verstarb Paulas Mutter Therese Blum. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Trier neben ihrem 1896 verstorbenen Mann Samuel Blum begraben.

1922 war Paulas Mann Otto Mayer im Düsseldorfer Adressbuch in der Heinestraße 2 mit dem Zusatz „Webwaren-Großhandlung“ verzeichnet. 1926 verlegte er seine Firmenadresse „Otto Mayer, Kleiderstoffe en gros“ in die Karlstraße 129. Ihr Bruder Robert Blum hatte bis 1927 Prokura. 1931 wechselte die Familie Mayer die Rheinseite und zog in den Stadtteil Oberkassel. Hier wohnten sie zunächst in der Luegallee 70 und ab 1933 im Haus Luegallee 99. Ab 1936 lebte Paula Mayer mit ihrem Mann in einer Wohnung in der Adalbertstraße 32.

Ihr Sohn Erich Mayer arbeitete als Journalist und Werbeschriftsteller. Er heiratete am 24. Dezember 1931 in Düsseldorf-Oberkassel die Cembalistin Brunhilde Schneider. Er zog aus der elterlichen Wohnung mit seiner Frau in die Rembrandtstraße 22. 1932 nahm er den Familiennamen Mayer-Schneider an. Sie zogen am 16. Januar 1936 nach Konstanz. Von dort emigrierten sie 1937 in die Schweiz. 1940 drohte die Ausweisung der beiden, die sie mit großen Anstrengungen wieder rückgängig machen konnten.

Im November 1938 wurden viele jüdische Familien in Düsseldorf durch die Überfälle im Zuge des Pogroms erschüttert. Paula und Otto Mayer hatten das seltene Glück, dass sie, da sie im Stadtteil Oberkassel wohnten, per Zufall von einem Überfall verschont blieben. Dennoch war die Verunsicherung groß, da viele Freunde und Bekannte direkt betroffen waren. Paula und Otto Mayer schrieben über ihre Empfindungen am 13. November 1938 an ihren Sohn Erich in die Schweiz: „Wir sind gesund & bis jetzt ist Alles beim Alten, doch da Vater nicht arbeiten kann, bangt uns vor der Zukunft von Kurt und uns. – Vorerst sind wir so erschüttert & erstarrt, dass wir nicht schreiben können, deshalb seid uns nicht böse, wenn wir es nicht tun. Wir haben viel Arbeit mit Betreuen.“ Die Spätfolgen der Zerstörung jüdischen Eigentums holte jedoch auch Paula und Otto Mayer ein. Am 18. November 1938 berichteten sie ihrem Sohn Erich: „Also direkt zur Sache: Unsere Wohnung ist uns gekündigt worden, d.h. aus größter Nervosität und Ängstlichkeit heraus, und wir mussten die Kündigung annehmen, für deren Auszugstermin aber (…) der 28. Februar zu betrachten ist. Gleichwohl verlangte bzw. ersuchte der Besitzer uns, möglichst umgehend auszuziehen, die Möbel einen Spediteur zu übergeben und was heute sonst noch in der Bestürzung so allerlei von ihm vorgeschlagen wurde. Ich habe alles abgelehnt und nur zugesagt, daß wir uns um eine andere Wohnung bemühen, wofür aber nur gewisse Hausbesitzer in Frage kommen, deren Wohnräume aber noch nicht frei sind und erst in Ordnung gebracht werden müssen, hierfür kommen alle in Frage, die Euch bekannt sind. Immerhin zweifeln wir nicht daran, daß wir etwas Geeignetes event. 2 große Zimmer finden werden. Schon heute haben wir mit Suchen begonnen und Vormerkungen treffen lassen. Wir verzagen auch in dieser Sache nicht.“ Nun sah auch ihr Mann Otto Mayer die Notwendigkeit Deutschland zu verlassen. Jedoch wollte er nichts überstürzen und nicht „ins Blaue“ reisen, wie er in einem Brief an Erich am 1. Februar 1939 schrieb. Außerdem hielt er ihre Prioritäten fest: „Bevor Kurt, für den alles bearbeitet ist und wird, kommt für uns nichts in Frage, auch verknüpfe ich unsere herbstliche Zukunft nicht mit Kurt´s Zukunft.“

Im gleichen Brief berichtete Otto Mayer über die neue Wohnung: „Wir ziehen also etwa Ende März, nicht später, nach Erasmusstraße 18, nach dem „glücklichen Süden“ und bekommen eine gleichwertige, schöne, moderne Wohnung in neuem Hause (seit einigen Jahren gebaut) sehr gemütlich, hell und freundlich. Der Besitzer Schulhoff (Diplom-Ingenieur) hat mehrere Häuser, wohnt aber selbst auch Erasmusstraße 18, was unter allen Umständen ein Vorteil sein dürfte. Miete M. 100,-. Es sind 12 Wohnungen in diesem Haus, alle in gleicher Größe und modern.“ Und Paula Mayer schrieb: „Liebe Kinder, während Vater schrieb & zu Fuss nach der Stadt kam, war ich in der neuen Wohnung mir einen Plan zu holen, wir bringen die Möbel nicht alle unter, & schreibe erst am Abend, deshalb kurz. Die rechte Freude fehlt mir an der Wohnung, da wir nicht dachten, ausziehen zu müssen vor einem grossen Umzug; auch das muss überwunden werden. Ein klein wenig dauert es noch mit dem Palm – Ersatz, denn ich muss erst mal in der ganz unbekannten Gegend ein Geschäft ausfindig machen; schade, sehr schade, dass wir aus Oberkassel heraus müssen. – Vater hat ja diesmal so ausführlich geschrieben, dass ich es nicht brauche. Es bleibt vorerst nichts übrig als still abzuwarten, wenn man nicht zu Anderem gezwungen wird. Wir haben uns nach allen Seiten orientiert, vorerst ist nirgends ein Platz für uns, & werden wir uns eben danach richten müssen. Bleibt gesund, herzl. Grüsse, Mutter

Im März 1939 erfolgte dann der Umzug in die Erasmusstraße 18. Am 31. März 1939 schrieb ihr Mann Otto Mayer an seinen Sohn Erich: „Inzwischen orientiere ich mich in der jetzigen Gegend, Brunnenstraße, Feuerbachstraße, Merowingerstraße, Post, Apotheke, Geschäfte – und vor allem „Tigges“ „Gebr. Frankenheim“ ganz nahe. Gestern Abend habe ich mich, bei Tigges bei diversem Düsselbier über Leben und Treiben orientiert und saß gemütlich 1 ½ Stunden mit biederen Düsseldorfer Herren zusammen und unterhielten uns vortrefflich. Verabschiedung mit herzlichem Händedruck. – Und nun Schluß, ich habe noch einige Besorgungen zu machen und will Mutter noch etwas zum Schreiben überlassen, obwohl ich ihr sagte, ein Gruß genüge heute, da Schillers Wort „Und immer waltet die tüchtige Hausfrau“ – so ähnlich lautet es doch –  momentan in stärkster Form zum Ausdrucke kommt.“

Am 2. Dezember 1939 trug ein Beamter des Standesamts Trier in die Heiratsurkunde von Otto und Paula Mayer ein, dass beide den Zwangsnamen Israel und Sara angenommen hätten. An seinen Sohn Kurt schrieb Otto Mayer am 10. Dezember 1939: „Einen mir innerlichen Bedürfnis nachgebend war ich gestern 2 ½ Stunden in der Grafenberger-Allee zum Gottesdienst und habe mich entschlossen, mindestens alle 14 Tage regelmäßiger Besucher zu werden und dies wirklich einzig und allein deshalb, weil ich mich gläubigen Herzens dahin zurückgefunden habe, wohin wir alle gehören. Wenn diese Rückgesinnung auch bestimmt durch dein derzeitiges Scheiden von uns stark beeinflußt ist, so muß ich dir doch sagen, daß ich schon längere Zeit dafür reif wurde, nicht zuletzt bestimmt durch deine (…) Hingabe zu Gott. Der Gottesdienst gestern war erhebend und schön und ergreifend, Dr. Klein, der sich riesig mit deinem Briefe freute und sich außerordentlich für dich interessiert, läßt dich herzlichst grüßen und wird dieser Tage mit seiner Frau unser Gast sein.“

Am 25. Februar 1940 schrieb ihr Mann Otto an die Söhne: „Hier im Hause sind wir nach wie vor mit unserer gemütlichen Wohnung sehr zufrieden, haben nette Nachbarn und Mitbewohner, mit denen wir gemütlichen Verkehr pflegen, es sind Leute, die richtig zu uns passen, kultiviert u. lebensbejahend. Es kommt auch schon einmal vor, wie z.B. am letzten Freitagabend, dass wir uns erst um 2 Uhr Nachts erinnerten, dass wir eigentlich schlafen müssten Mit Salms, Baums, Maxens Eltern, Dr. Kl. usw. kommen wir aber auch viel zusammen, das Zusammengehörigkeitsgefühl ist stark ausgeprägt und belebt das Leben.“

Über die Einführung des sogenannten Judensterns schrieb ihr Mann am 14. September 1941: „Meine l. Kinder! Euer l. Brief vom Sonntag hat uns tief be- und gerührt und sagt tatsächlich alles das, was wir uns auch persönlich zu sagen hätten. Es ist nicht einfach, dies alles in Kauf nehmen zu müssen. Es ändert jedoch nichts an meiner Haltung nach außen und von innen, ich habe es wahrlich nicht nötig, von irgendjemand die Augen niederzuschlagen, meine in blutigen Kämpfen erhaltenen Verwundungen und Auszeichnungen sind durch ihre Urkunden zeitlose Zeugen.“ Und Paula Mayer ergänzte: Liebe Kinder, vielen Dank für Euren l. Brief v.7ten, der so schön ausdrückt, was wir empfinden. Wir tragen hieran am schwersten v. Allen, was wir bis jetzt tragen mussten, besonders auch Vater, aber wir werden es mit Würde tragen. Jetzt sind Eure Briefe erst recht unser Sonnenstrahl, & ist’s nur schade, dass Eure Bücher uns nicht zur Verfügung stehen. Werde nur bald wieder gesund l. Brunhilde & kurier Dich gut aus. Roland besuchten wir Donnerstag, er wird jetzt zu uns kommen. Wir werden Ende der Woche ausführl. Brief schreiben, da wir bis dahin unsre Elberfelder Freunde aufsuchen & Albert & Olli uns morgen & übermorgen besuchen. Wer weiss, wann man sich wieder sieht? Nochmals bleibt gesund & werdet gesund & schreibt bald wieder Eurer Mutter“

Am 21. September 1941 schrieb ihr Mann Otto Mayer: „Wir selbst sind auch auf die Erhaltung unserer Gesundheit bestens bedacht, da wir jetzt mehr Widerstandskraft wie je benötigen, –  Und sonst gehen wir z.Zt. ja nicht mehr so viel aus wie sonst und schätzen unser bescheidenes kleine Heim noch mehr wie früher, soweit eine Steigerung des Gefühls noch möglich ist. Eine sinnreiche Dekoration habe ich an einer Wand angebracht, es sind meine Kriegsorden, Auszeichnungen, Urkunden und dgl. in einem geschmackvollen Rahmen mit Glas, auch Zeugen für meine mehrfachen Verwundungen. Erinnerungen an große Zeiten und Erlebnisse. –

Im Oktober 1941 begannen die Deportationen jüdischer Bürgerinnen und Bürger auch aus Düsseldorf. Paula und Otto Mayer waren davon noch nicht direkt betroffen. Jedoch sollte Paulas Bruder Robert Blum sich für den ersten Transport bereithalten. Sie schrieben darüber an Erich in die Schweiz am 16. Oktober 1941: „Heute nur kurz die Nachricht, dass wir gesund sind. Wir werden diesmal später schreiben, da wir viel Arbeit durch Onkel Robert haben. Er reist nächste Woche mit guten Bekannten. Vielleicht könnt Ihr ihn noch hierher schreiben; versucht es, da er zunächst noch keine Adresse angeben kann. Wir reisen jetzt noch nicht, vielleicht können wir besseres Wetter abwarten.“

Die Angst vor der eigenen Deportation steigerte sich mit jedem aus Düsseldorf abgehenden Transport. Otto Mayer bekam durch seine ehrenamtliche Arbeit in der Jüdischen Gemeinde die Informationen darüber aus erster Quelle. Mit der zweiten Deportation aus Düsseldorf, Ziel war das Ghetto in Minsk, wurden über 600 Menschen aus Düsseldorf deportiert. Paula und Otto Mayer hatten zunächst auch auf der Deportationsliste gestanden, wurden aber wegen Otto Mayers Arbeit für die Gemeinde zurückgestellt. Paula Mayer schrieb am 10. November 1941 in die Schweiz: „Gestern sind unsre verschiedenen Freunde weg, & und wir sind sehr traurig. Wir warten noch etwas ab, aber wohl nicht lange.“

Ende des ereignisreichen und beängstigen Jahres 1941 schrieb Paula Mayer: „Inzwischen hat sich nichts Neues ereignet, & wir sind froh darüber. Dass wir v. Kurt so gar nichts hören, tut uns sehr leid, aber wir vermuten doch, dass es ihm leidlich ergeht. Nun ist schon wieder ein Jahr um, wollen wir hoffen, dass das kommende ein gutes wird! Ob wir uns im kommenden wiedersehen? Von Robert hörten inzwischen nichts mehr.“

Am 10. Juli 1942 schrieben Paula und Otto Mayer gemeinsam: „Liebe Kinder, nun ist es soweit, wir reisen am Montag d. 20.7. Ihr könnt Euch denken, wies uns ums Herz ist. Schreibt bitte sofort, dann erreichts uns vielleicht noch, am besten vielleicht an Braunschweig auf der Etage, die noch hier sind & noch nicht reisen. (…) Ich muss schon Schluss machen, bin zu gerührt & muss doch standhaft bleiben. Ausführl. Nachr. im Brief & viell. noch Karten folgen. Behaltet uns lieb Ihr 2 Lieben, einen festen Kuss Eurer Mutter“ und Otto Mayer ergänzte: „Meine l. Kinder! Also Dienstag in 8 Tagen geht die Reise los nach Theresienstadt, an der Elbe gelegen zwischen Dresden u. Prag, das wegen der schönen Lage sehr gelobt wird. Da wir in Gesellschaft meiner früheren Kriegskameraden und alten Leuten reisen, wobei ich die Leitung habe, sind wir etwas optimistisch gestimmt. Im übrigen wollen wir keine rührselige Stimmung aufkommen lassen und hoffe ich, daß wir bald schreiben können wegen Adresse usw. jedenfalls schreiben wir noch in den nächsten Tagen und Ihr werdet ja wie umseitig angegeben an Rudolf schreiben. Indessen herzlichste Grüße u. Küsse, Euer Vater

Am 21. Juli 1942 wurde Paula Mayer mit ihrem Mann Otto von Düsseldorf in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Ihr Schwager Albert Mayer wurde aus Wiesbaden über Frankfurt am Main am 1. September 1942 ebenfalls dorthin deportiert. Paulas Schwester Justine Wolff wurde am 2. Oktober 1942 aus Köln in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Ob alle sich noch im Ghetto sehen konnten?
Am 26. September 1942 verstarb ihr Mann Otto Mayer im Ghetto Theresienstadt im Alter von 67 Jahren. Ihre Schwester Justine Wolff verstarb im Ghetto am 29. Dezember 1942. Paula Mayer verstarb am 11. Januar 1943 im Ghetto Theresienstadt.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf