Wahrenberg, Max Moses
Max Moses Wahrenberg kam am 6. November 1895 in Jaroslaw zur Welt gekommen. Er absolvierte eine Ausbildung zum Textilkaufmann. Im Jahr 1922 heiratete er Erna Esther Wagner aus Sieniawa. Seine Frau war dort am 25. November 1896 zur Welt gekommen. Sie hatte noch sechs Brüder: Bernhard (geboren 1892), Cuno (geboren 1894), Sally (geboren 1895), Oskar (geboren 1901), Jakob (geboren 1906) und Sigmund (geboren 1911). Seine Frau hatte acht Jahre ein Gymnasium besucht und im Anschluss eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Ihre gemeinsame Tochter Klara kam am 6. Juni 1923 in Sieniawa zur Welt. Am 13. November 1924 wurde der Sohn Gerhard geboren. Ihm folgte am 12. Januar 1926 in Sieniawa der Sohn Salomon Siegfried.
Im Dezember 1926 zog Max Wahrenberg mit ihrer Familie nach Deutschland und bezog in Düsseldorf eine Wohnung zunächst in der Friedrichstraße 23. In Düsseldorf lebten bereits seine Schwager Bernhard Wagner und Oskar Wagner. Sie waren in der Lebensmittelbranche. Sein Schwager Bernhard Wagner führte unter anderem in der Friedrichstraße 124 ein Lebensmittelgeschäft. Auch Max Wahrenberg und seine Frau begannen 1928 zu arbeiten. Sie suchten daher ein Kinderfräulein. Eine diesbezügliche Suchanzeige aus dem Jahr 1929 hat sich erhalten. Ab dem 8. Juli 1930 wohnte die Familie in der Münsterstraße 2. Am 14. Januar 1931 hatte seine Frau eine Fehlgeburt. Dies belastete sie schwer.
Am 15. März 1932 zog Max Wahrenberg mit seiner Familie zur Nordstraße 3. Im gleichen Haus betrieben sie ihr Lebensmittelgeschäft. Das Geschäft war über seine Schwager in die Familie gekommen. Insgesamt gab es in Düsseldorf elf Lebensmittelgeschäfte, die von ihnen geführt wurden („Wagners Lebensmittel“). Nach der Machtübernahme wurden die Geschäfte teilweise boykottiert. Seine Schwager reagierten auf den Boykott und gingen ins Ausland. Max Wahrenberg und ihre Familie blieben in Düsseldorf und führten weiterhin ihr Geschäft „Wahrenbergs Lebensmittel“. Von 1933 bis 1935 arbeiteten in ihrem Geschäft etwa zehn weibliche Angestellte. Seine Frau Erna Wahrenberg übernahm manchmal eine der Kassen.
Seine Tochter Klara besuchte die Volksschule in der Oststraße. Seit 1935 gingen Klara und ihre Geschwister in die jüdische Schule in der Kasernenstraße in Düsseldorf. Von ihr und dem Sohn Gerhard sind Zeichnungen aus dem Kunstunterricht bei Julo Levin erhalten geblieben und befinden sich heute im Archiv des Düsseldorfer Stadtmuseums.
Am 6. Juni 1937 kam die Tochter Gusti, auch Jenny genannt, in Düsseldorf zur Welt. Seine Frau Erna, die bereits 42 Jahre alt war, wurde nach der Geburt krank und musste in eine Klinik eingewiesen werden. Neben der späten Schwangerschaft belastete sie auch die immer schwierigere Situation der Familie in Nazi-Deutschland. Vom 22. Mai 1938 bis zum 17. Juli 1938 befand sich seine Frau im St. Josefskloster in Neuss zur Behandlung. In dieser Zeit kümmerte sich seine älteste Tochter Klara daher wie eine Mutter um die kleine Jenny. Im engen Freundeskreis ihrer Tochter Klara waren die Schwestern Ruth und Annelore Kremser. Deren Mutter war jüdisch, der Vater jedoch nicht. Mitte des Jahres 1939 wurden Ruth und Annelore von ihren Eltern in die USA geschickt. Der Kontakt zu ihnen blieb über die Eltern jedoch bestehen.
Am 28. Oktober 1938 wurde die gesamte Familie Wahrenberg aus der Wohnung abgeholt und dann im Zuge der Verschleppung vormals polnischer jüdischer Staatsbürger aus Düsseldorf nach Zbaszyn an der deutsch-polnischen Grenze deportiert. Nach der Verschleppung wurde ihr Geschäft angeblich für 1000 Reichsmark „arisiert“. Nachdem sie nach Polen abgeschoben worden waren, schrieben seine 18-jährige Tochter Klara und sein Sohn Gerhard mehr als 25 Briefe und Postkarten an das Ehepaar Alma und Rudolf Kremser in Düsseldorf. Über diese Briefe lässt sich der weitere Lebensweg der Familie rekonstruieren.
Die Familie Wahrenberg lebte zunächst kurz in Krakau und dann im Ghetto ihrer Geburtsstadt Sieniawa, etwa 90 Kilometer südlich von Lublin gelegen. Dort lebten zunächst auch ihre Eltern. Als der Zweite Weltkrieg begann, fiel die Stadt Sieniawa für zwei Jahre an die Sowjetunion. Damals waren 60 Prozent der Bevölkerung jüdisch. Sein Sohn Gerhard musste nach dem Einmarsch der Deutschen und nach der zweijährigen sowjetischen Besetzung in Przemyśl – einem Grenzort zur Ukraine im Karpatenvorland, das durch ein Massaker der Einsatztruppen vom 15. bis 19. September 1939 traurige Berühmtheit erlangte – ab 1941 Zwangsarbeit im Straßenbau leisten.
Am 8. Dezember 1941 schrieb seine Tochter Klara an Alma Kremser in Düsseldorf: „Bei uns ist alles beim Alten! Beschäftigung haben wir vorläufig nicht, Gesundheitlich sind wir alle gesund. Was hört sich sonst in Düsseldorf? Ist von unseren Bekannten noch jemand dort. Ich hätte eine gr. Bitte an Sie; vielleicht wäre es Ihnen möglich ein paar ältere Kleidungsstücke zu schicken, Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, da Jenny aus allen Ihren Sachen herausgewachsen ist.“
Und an 24. Dezember 1941 schrieb sie aus Sieniawa: „Gesundheitlich geht es uns allen ganz gut, aber leider haben wir alle augenblicklich keine Verdienstmöglichkeiten! Mein älterer Bruder, hat bei Rußland 2 Jahre in einer Bäckerei gearbeitet, und sehr schwer auf das Auskommen geplagt; heute darf er dorten schon nicht arbeiten! Trotz allem mein Vater damals etwas zuverdiente, mussten wir sehr viele Gegenstände aus der Wohnung heraus verkaufen, auf den Lebensunterhalt. Mir war es damals auch nicht möglich zu verdienen, da ich russische und polnische Sprachkenntnisse nicht beherrschte. Jetzt beherrsche ich schon besser die polnische Sprache. Meiner kleinen Schwester Jenny geht es sonst ganz gut, sie ist ein sehr kluges und braves Mädelchen geworden, leider kann man ihr heute nicht die richtigen Nahrungsmittel geben!“.
Max Wahrenberg schrieb auf den gleichen Brief: „Sehr geehrte Frau Kremser! Den Brief welchen Sie an meine Tochter Klara geschrieben haben, habe ich mit großer Freude gelesen. Es war für uns eine große Überraschung, dass sie so liebenswürdig waren und uns einen so ausführlichen Brief geschrieben haben. Besonders freut zu hören, dass sie und der Herr Gemahl sich gesund befinden. Wir haben während der Kriegsjahre sehr viel mit gemacht, jedoch sind wir alle G. s. D. gesund geblieben. Uns geht es heute nicht gut. da es uns an den nötigen Nahrungsmitteln fehlt. Leider wohnen unsere Verwandte nicht in der Nähe, sonst hatten sie uns schon geholfen. Das sie so liebenswürdig sind, und unsern Töchterchen Jenny ein Paket, schicken das ist wirklich sehr schön von Ihnen. Der Alm. soll uns helfen, und wir wenn wir gesund bleiben werden, so werde ich es nicht vergessen, und Ihnen es mit Dank zurückzahlen. Wie sie uns geschrieben haben, ist unser Geschäft geschlossen, das wundert mich sehr. In den letzten Jahren habe ich von dem jungen Herr Hermans nichts gehört. Vor Kurzem habe Ich an ihm geschrieben, und hoffe bald Antwort zu bekommen. Ich wünsche ihnen alles Gute, und hoffe von Ihnen bald gute Nachrichten zu erhalten. Ich grüße sie und Ihren H. Gemahl Herzlich M. Wahrenberg.“
Am 8. Juni 1942 schrieb sein Sohn Gerhard: „Von meinem Vater bekam ich vor ein paar Tagen nach langem Warten endlich eine Karte, indem er mir nicht gerade gutes mitteilte, obwohl ich noch ärgeres befürchtet hatte. Er schreib mir, dass meine l. Mutter wieder nicht gesund ist, und unter ärztlicher Behandlung stehe. Sie war ja schon von früher her nervenleidend, das hatte sich aber heute nochmals wiederholt. Hoffentlich wird es bald vorübergehen. Weiter erfuhr ich, dass der Vater selbst sehr schwach ist, da er täglich letztens in der Stadt eine Arbeit zugestellt bekommt. Doch wird der Vater sich bestimmt ein ärztliches Attest herausnehmen. Sonst ist zu Hause alles beim Alten, Jenny geht täglich mit Klara zum San baden, und Siegfried lernt weiter.“
Am 21. Juni 1942 schrieb seine Tochter Klara aus ihrer Geburtsstadt Sieniawa an das Ehepaar Kremser in Düsseldorf: „Wir haben Ihre 2 Paketchen mit großer Freude erhalten und danken Ihnen sehr dafür, dass Sie so liebenswürdig waren, uns so auszuhelfen, da es bei uns in allem sehr mangelt. Ich bitte Sie sehr, nach dem Bau–Dienst wo mein Bruder Gerd sich bisher befand nichts mehr hinzuschicken, da wir leider vorläufig noch überhaupt nicht genau wissen, wo Gerd sich augenblicklich befindet! Zu den großen Aufregungen, die wir hier haben, ist meine Mutti ganz abgeschwächt worden, und liegt krank, da sich alles zu sehr zu Herzen nimmt. Leider können wir ihr heute nicht die richtige Nahrung geben, u. von dem, was wir Ihr geben, wird sie sich nicht lange aufrecht halten können. Entschuldigen Sie mir bitte, u. seien Sie nicht böse auf mir, dass ich Ihnen alle meine gr. Sorgen ans Herz lege, da Sie sicher wichtigere Dinge auf den Kopf haben. Sie können sich gar nicht kein Bild machen, wie traurig es bei uns augenblicklich aussieht! Ich danke Ihnen nochmals herzl. für alles Gute, was Sie uns tun! (…) Viele herzliche Grüße sendet Ihnen Ihre treuen Klara, Viele extra Grüße von meinen l. Eltern u. Sigi, Viele Grüße sendet auch Jennychen“
Das letzte Lebenszeichen von seiner Tochter Klara erhielt das Ehepaar Kremser Mitte 1942. Am 8. Juli 1942 schrieb sie: „Von meinen Bruder Gerd haben wir schon 4 Wochen kein Schreiben erhalten, wir denken sehr viel über ihn nach. Meine liebe Mutti nimmt sich alles am meisten zu Herzen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie wir hier die Woche überleben, von Brot ist bei uns überhaupt gar keine Rede, wir sind froh, wenn wir uns täglich eine dünne Suppe kochen können, die wir manche Tage auch nicht haben u. dann hungern. Sie schreiben mir, dass Sie uns Proviant schicken können, da bitten wir Sie höflich, was Ihnen möglich ist zu schicken. Sie können sich kaum denken, wieviel Sie uns damit helfen können. Für alle Ihre Bemühungen danken wir Ihnen nochmals recht herzlich, der Allmächtige soll helfen, wir sollen bei Gesundheit bleiben, so werden wir Ihnen es abdienen mit großem Dank.“
Sein Sohn Gerhard befand sich zuletzt in der Stadt Ulanow. Er schrieb am 29. September 1942 ein letztes Mal an Alma Kremser in Düsseldorf: „Erst heute komme ich dazu ihnen einen Brief zu schreiben, nach deren Erhalt Sie aber bestimmt auch traurig sein werden. Von damals an war ich später zwei Wochen zu Hause, und bin später mit der ganzen Familie weg von dort. Später bin ich von den Eltern und Geschwistern abgeteilt worden, und in ein zweites Arbeitslager verschickt worden. Von den Eltern habe ich bis heute, ebenfalls von den Geschwistern, kein Lebenszeichen bekommen, und ich besitze wenig Hoffnung, dass sie noch leben. So bin ich einer allein geblieben und bin hierhergekommen, ich habe keinerlei Beschäftigung noch, und keinerlei Verdienst.“
Die gesamte Familie Wahrenberg hat die NS-Zeit nicht überlebt.