Gedenkbuch

Eichengrün, Arthur

Am 6. August 1890 kam Arthur Eichengrün als erster Sohn des Wiitener Ehepaars Sally und Bertha Eichengrün, geborene Michel, in Witten zur Welt. Sein Vater Sally Eichengrün (1855-1924) führte das Kaufhaus „Gebr. Alsberg“ in Witten. Arthur bekam noch fünf Geschwister: Max (geboren 1892), Johanna Aenne (geboren 1893), Martha (geboren 1895), Otto (geboren 1897) und Paul (geboren 1899).

Die Familie Eichengrün wohnte in Witten zunächst in der Bahnhofstraße 11. Arthur besuchte die Volksschule und das Realgymnasium in seiner Heimatstadt und bestand im März 1908 sein Abitur.Im Jahr 1909 studierte er Jura an der Universität in Bonn. 1911 bestand er seine Referendarprüfung. Seine juristische Doktorwürde erhielt er in Heidelberg im Jahr 1912. Im gleichen Jahr begann er sein juristisches Studium. Arthur Eichengrün kämpfte im Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 als Soldat im 4. bayrischen Feldartillerie Regiment II. Am 24. September 1915 wurde Dr. Arthur Eichengrün das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. Auch seine Brüder Otto und Max Eichengrün wurden mit dem Verdienstkreuz ausgezeichnet. Im Oktober 1915 wurde Dr. Arthur Eichengrün zum Leutnant befördert. Im April 1918 wurde er zum Oberleutnant ernannt.

Als Rechtsanwalt ließ sich Dr. Arthur Eichengrün zunächst in seiner Heimatstadt Witten nieder. Bis August des Jahres 1922 unterhielt er seine Anwaltspraxis in der Ruhrstraße 4. Seine Eltern erbauten von 1922 bis 1924 eine Villa in der Blücherstraße 17 in Witten und zogen dort ein.
Seit 1923 war Dr. Arthur Eichengrün Geschäftsführer der Sanatorium-Baugesellschaft mit beschränkter Haftung. Am 16. Dezember 1924 verstarb sein Vater Sally Eichengrün. Sein Vater hatte zwei Jahrzehnte dem Gemeindevorstand der Wittener Synagogengemeinde angehört. Seine Mutter übernahm die Teilhaberanteile ihres Mannes. Geschäftsführer wurde 1928 Arthurs Bruder Max Eichengrün.

Mitte der 1920er Jahre wurde Dr. Arthur Eichengrün als Justitiar im Vorstand der Gebrüder Schöndorff AG in Düsseldorf eingesetzt. Er hatte den ebenfalls jüdischen Justitiar Alfred Mehler abgelöst. Eichengrüns Beruf wurde in der Folgezeit im Düsseldorfer Adressbuch mit „Direktor“ oder „Fabrikdirektor“ angegeben. Neben ihm im Vorstand der Gebr. Schöndorff AG saßen der Firmengründer und Generaldirektor Albert Schöndorff (1870-1942), dessen Sohn Rudolf Schöndorff als Stellvertreter und der Technische Direktor Albrecht Nuß. Letzterer sollte sich später als fanatischer Nationalsozialist entpuppen.

Die Gebr. Schöndorff AG fungierte später vor allem als Waggonfabrik. 1930 wohnte Dr. Arthur Eichengrün mit seiner Ehefrau Elli und den beiden Kindern in der Gartenstraße 9 in der ersten Etage. Das Haus gehörte Dr. med. Walter Schöndorff (1896-1950). Dr. Arthur Eichengrün war als Rechtsanwalt zugelassen am Landgericht in Düsseldorf. Seine Kanzlei befand sich im Haus Graf-Adolf-Straße 46. 1933 war sie im Haus Berger Ufer 6. 

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde Dr. Arthur Eichengrün sofort mit den antijüdischen Massnahmen konfrontiert. Insbesondere in der Firma Gebr. Schöndorff wurde es für die jüdische Geschäftsleitung und den Vorstand sehr unangenehm. Der Technische Direktor Albrecht Nuß liess SA-Männer auf dem Firmengelände in der Königsberger Straße 100 aufmarschieren und die jüdischen Mitarbeiter anpöbeln. Am 30. September 1933 wurde der Belegschaft der „Gebr. Schöndorff AG“ (zu diesem Zeitpunkt rund 160 Mitarbeiter) mitgeteilt, dass der Gründer, Generaldirektor Albert Schöndorff, noch am gleichen Tag aus dem Unternehmen ausscheide. Kurz zuvor hatte ein Düsseldorfer Bankenkonsortium aus Commerzbank, Deutscher Bank und Dresdner Bank alle Schöndorff-Aktien erworben und war so Eigentümer der „Gebr. Schöndorff AG“ geworden. Die Firma erhielt die neue Namensbezeichnung „Düsseldorfer Waggonfabrik AG“ (Düwag). Auch Dr. Arthur Eichengrün musste den Vorstand der Firma verlassen. Er versuchte daraufhin weiter als Rechtsanwalt zu arbeiten. 1934 befand sich seine Rechtsanwaltskanzlei in der Graf-Adolf-Straße 45 in der ersten Etage.

Am 7. Juli 1934 trat seine Mutter Bertha Eichengrün aus der Firma Gebr. Alsberg in Langendreer aus und Dr. Arthur Eichengrün als persönlich haftender Gesellschafter in die Firma ein. 1935 wohnte Dr. Eichengrün bereits in der Grafenberger Allee 241 in der dritten Etage. Am 26. November 1937 verstarb seine Mutter Bertha Eichengrün in Witten.

Seit dem 27. März 1937 wohnte Dr. Arthur Eichengrün in der Kaiserswerther Straße 130. In der Pogromnacht im November 1938 wurde auch seine Wohnung überfallen und er verhaftet. Er befand sich mit anderen Verhafteten vom 10. bis 16. November 1938 im Düsseldorfer Polizeipräsidium. Am 17. November wurde er zusammen mit den meisten der Verhafteten in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Am 28. November 1938 wurde Dr. Eichengrün als der KZ-Haft entlassen.

Er plante nun die baldige Emigration aus Deutschland. Seine Brüder hatten das Land schon verlassen. Nur seine Schwester Martha, die mit Dr. Alfred Alsberg verheiratet war, befand sich noch im deutschen Reich. Arthur Eichengrün hatte lange Zeit eine Emigration aus Rücksicht auf seine nichtjüdische Frau und die zwei Kinder zurückgestellt, obwohl ihn in Großbritannien eine Stelle angeboten worden war.
Sein Elternhaus in Witten ging im Zuge der erzwungenen „Arisierung“ des Kaufhauses im Frühjahr des Jahres 1939 für 43 000 Reichsmark an die NSDAP Gauleitung Westfalen-Süd. Wert war die Villa mindestens das Doppelte.

Am 8. Februar 1939 zog Arthur Eichengrün zur Lindemannstraße 66. Am 10. August 1939 beging Arthur Eichengrün Suizid in Stuttgart. Über die Gründe, warum er sich in Stuttgart aufhielt, kann hier nur spekuliert werden. Möglich ist jedoch, dass Dr. Eichengrün das amerikanische Konsulat in Stuttgart in der Königstraße 19a aufgesucht hatte, um eine Ausreise in die Vereinigten Staaten von Amerika in die Wege zu leiten. Den Antragstellern wurde im Idealfall eine Registriernummer für die Einwanderung in die USA zugeteilt. Möglicherweise war die Nummer, die Dr. Eichengrün erhielt so hoch, dass eine baldige Emigration völlig unrealistisch war. Überhaupt nahm das Konsulat in dieser Zeit Visums-Anträge ungern an. Mit einer Monate langen Bearbeitungszeit musste gerechnet werden, da die Quoten für mitteleuropäische Einwanderer völlig erschöpft seien. Gemeint war die amerikanische Quote, die festlegte, wie viele Personen pro Geburtsland jährlich in die USA einwandern durften. Und mit den Ereignisse des Jahres 1938 war die Anzahl von Visums-Bewerbungen aus Deutschland rasant gestiegen. Um überhaupt auf eine Warteliste für ein Visum gesetzt zu werden, musste man weitere Formulare ausfüllen und weitere Dokumente einreichen. Zusätzlich musste man einen amerikanischen Bürgen benennen. Eine Bürge war eine wichtige Bedingung für den Erhalt eines Einreisevisums. 

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf