Gedenkbuch

Freund, Lina

geb. Wolff

Am 12. Dezember 1860 kam Lina Wolff in Commern bei Gelsenkirchen zur Welt. Ihre Mutter war Johanna Wolff, geborene David. Sie hatte noch mindestens zwei Brüder: Nathan (1837-1925) und Siegmund.
Am 26. August 1885 heiratete sie in ihrem Geburtsort den Kaufmann Karl Freund. Ihr Mann war drei Jahre älter als sie. Zunächst lebte das Paar in Gelsenkirchen. Am 29. April 1886 kam in Gelsenkirchen ihre Tochter Erna zur Welt. Ihr folgte am 17. Juli 1891 die Tochter Alice.  Zu dieser Zeit wohnte die Familie in der Bahnhofstraße 88. Im gleichen Haus befand sich das Warenhaus „Gebrüder Kaufmann“. Ihr Ehemann Karl Freund war einer der Geschäftsführer. Um 1893 lebte die Familie dann schon in der Bahnhofstraße 53. Ihr Mann Karl Freund gehörte von 1900 bis 1906 zum Vorstand der Gelsenkirchener Synagogengemeinde. Ihre Mutter Johanna Wolff, geborene David, starb am 30. August 1903 im Alter von 78 Jahren. Ihr Mann inserierte eine Traueranzeige für sie. Im Jahr 1906 wohnte die Familie Freund in Gelsenkirchen in der Elisabethstraße 31.

Am 12. April 1907 heiratete ihre Tochter Erna in Gelsenkirchen Richard Eichenberg. Das Paar zog nach der Hochzeit nach Düsseldorf in die Klever Straße 31. Auch Lina Freund zog mit ihrem Ehemann und der unverheirateten Tochter Alice nach Düsseldorf. Am 26. Januar 1908 kam in Düsseldorf Lina Freunds einziges Enkelkind Hans Martin Eichenberg zur Welt. Ihr Mann Karl Freund und ihre Tochter Erna erhielten 1914 Einzelprokura für die Firma von Richard Eichenberg in Düsseldorf. Die Firma war im Getreide Import tätig.

Am 20. April 1917 verstarb ihr Ehemann Karl Freund in Düsseldorf. Zu diesem Zeitpunkt wohnte Lina Freund in der Graf-Recke-Straße 33. In den 1930er Jahren wohnte Lina Freund mit ihrer ledigen Tochter Alice in der Kölner Straße 60 in Düsseldorf. Später zogen die beiden zur Klever Straße 31. Dort wohnte ihre Tochter Erna mit ihrer Familie. Am 24. November 1937 emigrierte ihr Enkelsohn Hans Martin Eichenberg nach Argentinien. Knapp ein Jahr später, am 3. Oktober 1938, meldeten sich ihre Tochter Erna und ihr Schwiegersohn Richard Eichenberg ebenfalls nach Buenos Aires ab. Die 78-jährige Lina Freund und ihre Tochter Alice blieben in Düsseldorf. Möglicherweise verschob ihre Tochter Alice ihre eigene Emigration aus Rücksicht auf ihre betagte Mutter.

Zuletzt wohnte Lina Freund mit ihrer Tochter in der Klever Straße 29 in einer Wohnung in der ersten Etage. Das Haus gehörte der Familie des Bauunternehmers Dr. Adolf Breitenstein. Am 30. Oktober 1941 schrieb er an seine Familienangehörigen: „Die Sache mit Freunds will ich nur kurz andeuten. Alle Juden kommen von D. weg, z. Teil sind sie schon fort und zwar nach Polen. Sie werden mit 50 Kg. Handgepäck verfrachtet, sonst können sie nichts mitnehmen. Auf ihre Wohnung samt Inhalt müssen sie zu Gunsten des Staates verzichten. Für unsere Wohnung interessiert sich die Gestapo. Die alte Frau Freund bleibt hier – d. h sie kommt in ein jüdisches Altersheim, die Junge muss wandern. Das nötige drum und dran kannst Du Dir vorstellen. Wann die Auswanderung vor sich geht, weiß ich nicht; ein Teil ist jedenfalls schon fort. Das andere kann wohl jeden Tag passieren.“

Der Gestapobeamte Georg Pütz suchte sie in ihrer Wohnung persönlich auf, um mitzuteilen, dass ihre Tochter Alice am 10. November 1941 mit dem zweiten Düsseldorfer Deportationstransport vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf deportiert werden soll. Als sie die Nachricht darüber erhielten, waren die 81-jährige Lina Freund und ihre Tochter Alice am Boden zerstört. Über das Geschehen gab der als „Mischling ersten Grades“ verfolgte Düsseldorfer Oberlandesgerichtsrat Hugo Goldfarb im Kontext des Prozesses gegen den Gestapobeamten Georg Pütz am 18. Januar 1949 eine eidesstattliche Aussage ab: „Die jüngere Frau Alice Freund erzählte mir damals, dass die treibende Kraft der Gestapobeamte Pütz sei, der ohne Gnade vorgehe. Ich versuchte damals, Frau Alice Freund zu bereden, vorläufig nichts Übereiltes zu tun, insbesondere sich nicht das Leben zu nehmen. Beide haben sich jedoch in der Nacht vergiftet und wurden am anderen Morgen sterbend aufgefunden.“.

Am 5. November 1941 nahmen sich Lina und Alice Freund das Leben. Aus den Angaben ihrer Familie ist zu vermuten, dass die beiden eine Überdosis Schlaftabletten genommen haben. Beide wurden neben dem Grab ihres Ehemanns/Vaters Karl Freund auf dem jüdischen Friedhof an der Ulmenstraße begraben.

Autorin: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf