Freund, Alice
Am 17. Juli 1891 kam in Gelsenkirchen Alice Freund zur Welt. Ihre Eltern Karl und Lina Freund, geborene Wolff, hatten bereits eine weitere Tochter. Erna war am 29. April 1886 in Gelsenkirchen geboren worden. Ihre Eltern hatten 1885 geheiratet. Zu dieser Zeit wohnte die Familie in der Bahnhofstraße 88. Im gleichen Haus befand sich das Warenhaus „Gebrüder Kaufmann“. Ihr Vater Karl Freund war einer der Geschäftsführer. Um 1893 lebte die Familie dann schon in der Bahnhofstraße 53. Ihr Vater Karl Freund gehörte von 1900 bis 1906 zum Vorstand der Gelsenkirchener Synagogengemeinde.
Alice Großmutter Johanna Wolff, geborene David, starb am 30. August 1903 im Alter von 78 Jahren. Ihr Vater inserierte eine Traueranzeige für sie. Im Jahr 1906 wohnte die Familie Freund in Gelsenkirchen in der Elisabethstraße 31.
Am 12. April 1907 heiratete ihre Schwester Erna in Gelsenkirchen Richard Eichenberg. Das Paar zog nach der Hochzeit nach Düsseldorf in die Klever Straße 31. Auch die 16-jährige Alice Freund zog mit ihren Eltern nach Düsseldorf. Ihr Vater Karl Freund und ihre Schwester Erna erhielten 1914 Einzelprokura für die Firma von Richard Eichenberg in Düsseldorf. Die Firma war im Getreide Import tätig. Ob Alice einen Beruf erlernte ist leider nicht bekannt.
Am 20. April 1917 verstarb ihr Vater Karl Freund im Alter von 60 Jahren in Düsseldorf. Zu diesem Zeitpunkt wohnte Alice mit ihren Eltern in der Graf-Recke-Straße 33. In den 1930er Jahren wohnte die unverheiratete Alice Freund mit ihrer Mutter in der Klever Straße 31. Dort wohnte auch ihre Schwester Erna Eichenberg mit ihrer Familie.
Alice Freund war eine versierte Bridge Kennerin. Sie inserierte regelmäßig Bridge Aufgaben in der Düsseldorfer Zeitung DER MITTAG.
Am 24. November 1937 emigrierte ihr Neffe Hans Martin Eichenberg nach Argentinien. Knapp ein Jahr später, am 3. Oktober 1938, meldeten sich ihre Schwester Erna mit ihrem Mann Richard Eichenberg ebenfalls nach Buenos Aires ab. Alice Freund blieb mit ihrer 78-jährigen Mutter Lina Freund in Düsseldorf. Möglicherweise verschob Alice Freund ihre eigenen Emigrationspläne aus Rücksicht auf ihre betagte Mutter. Zuletzt wohnte Alice Freund mit ihrer Mutter in der Klever Straße 29 in einer Wohnung in der ersten Etage. Das Haus gehörte der Familie des Bauunternehmers Dr. Adolf Breitenstein. Am 30. Oktober 1941 schrieb dieser an seine Familienangehörigen: „Die Sache mit Freunds will ich nur kurz andeuten. Alle Juden kommen von D. weg, z. Teil sind sie schon fort und zwar nach Polen. Sie werden mit 50 Kg. Handgepäck verfrachtet, sonst können sie nichts mitnehmen. Auf ihre Wohnung samt Inhalt müssen sie zu Gunsten des Staates verzichten. Für unsere Wohnung interessiert sich die Gestapo. Die alte Frau Freund bleibt hier – d. h sie kommt in ein jüdisches Altersheim, die Junge muss wandern. Das nötige drum und dran kannst Du Dir vorstellen. Wann die Auswanderung vor sich geht, weiß ich nicht; ein Teil ist jedenfalls schon fort. Das andere kann wohl jeden Tag passieren.“
Der Gestapobeamte Georg Pütz suchte sie in ihrer Wohnung persönlich auf, um mitzuteilen, dass Alice Freund am 10. November 1941 mit dem zweiten Düsseldorfer Deportationstransport vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf deportiert werden soll. Als sie die Nachricht darüber erhielten, waren Alice Freund und die 81-jährige Lina Freund am Boden zerstört. Über das Geschehen gab der als „Mischling ersten Grades“ verfolgte Düsseldorfer Oberlandesgerichtsrat Hugo Goldfarb im Kontext des Prozesses gegen den Gestapobeamten Georg Pütz am 18. Januar 1949 eine eidesstattliche Aussage ab: „Die jüngere Frau Alice Freund erzählte mir damals, dass die treibende Kraft der Gestapobeamte Pütz sei, der ohne Gnade vorgehe. Ich versuchte damals, Frau Alice Freund zu bereden, vorläufig nichts Übereiltes zu tun, insbesondere sich nicht das Leben zu nehmen. Beide haben sich jedoch in der Nacht vergiftet und wurden am anderen Morgen sterbend aufgefunden.“.
Am 5. November 1941 nahmen sich Alice Freund und ihre Mutter das Leben. Aus den Angaben ihrer Familie ist zu vermuten, dass die beiden eine Überdosis Schlaftabletten genommen haben. Beide wurden neben dem Grab ihres Vaters/Ehemanns Karl Freund auf dem jüdischen Friedhof an der Ulmenstraße begraben.