Gedenkbuch

Cohen, Walter

Walter Cohen wurde am 18. Februar 1880 in Bonn als jüngstes von elf Kindern geboren. Von Kindheit an war Walter Cohen schwerhörig. Seine Eltern, Friedrich Moritz (1836 – 1912) und Helena Cohen (1839 – 1914), förderten von Anfang an ein kunstaffines Umfeld. Sein Vater Friedrich Moritz Cohen war schon in zweiter Generation Verleger und Inhaber eines Buch- und Kunsthandels. Seine Eltern hatten am 11. März 1863 in Köln geheiratet. Der regelmäßige Kontakt zu kunstliebenden und kunstverständigen Freunden beeinflusste Walter Cohen später zu einem Studium der Kunstgeschichte. Sein Bruder Friedrich Cohen wurde ebenfalls Buchhändler und Verleger. Ein weiterer Bruder, Fritz Cohen (06.07.1872 – 01.04.1927) wurde alleiniger Inhaber des väterlichen Verlag- und Buchhandels. Schon früh gewann Walter Cohen persönliche Kontakte zu Künstlern wie August Macke und Paul Adolf Seehaus.

Nach seinem Studium in Bonn, München, Berlin und Straßburg promovierte Walter Cohen 1903 bei Georg Dehio mit einer Arbeit über einen flämischen Maler und Kunstschmied, die den Titel „Studien zu Quinten Metsys“ trug. Von 1904 an war er an der Mitarbeit am Allgemeinen Lexikon der bildenden Künstler, herausgegeben von Ulrich Thieme und Felix Becker, beteiligt. Gleichzeitig war er Volontär am Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin. Von 1908 bis 1914 wirkte Walter Cohen als Direktorialassistent am Provinzialmuseum (dem heutigen Rheinischen Landesmuseum) in Bonn, wo er die dortige Gemäldesammlung sichtete. 1912 kuratierte er, in Folge seiner Forschungen zum Sonderbund, die Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler in Köln. Er förderte die junge Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“, insbesondere den Künstler Franz Marc. Als Mitbegründer der „Gesellschaft zur Förderung deutscher Kunst“ und der „Vereinigung für junge Kunst“ trug Walter Cohen als Mäzen viel zur zeitgenössischen aufstrebenden Kunstszene bei. 1913 organisierte er zudem in Zusammenarbeit mit zwei seiner Brüder und seiner Schwägerin Hedwig Cohen die Ausstellung rheinischer Expressionisten im Kunstsalon Cohen. Cohens Brüder, Friedrich Cohen als Leiter des größten Bonner Buchhandels und Heinrich Cohen als Leiter des Kunsthandels, besaßen dort in der ersten Etage einen großen Raum, wo regelmäßig Ausstellungen gezeigt wurden.

Ab 1914 war Dr. Walter Cohen Kustos der Gemäldegalerie am Kunstmuseum in Düsseldorf. Als fundierter Kenner der altniederländischen und altdeutschen Malerei trug er durch seine Studien und Ausstellungen wesentlich dazu bei, den Ruf Düsseldorfs als Kunststadt zu fördern. Zu dem Galeristen Alfred Flechtheim pflegte Walter Cohen sowohl eine freundschaftliche als auch eine berufliche Beziehung. Im Rahmen der Wiedereröffnung der Galerie Flechtheim an der Königsallee 34 nach dem Ersten Weltkrieg unterstützte Cohen ihn mit einem schriftlichen Beitrag.

Am 12. Mai 1920 heiratete Walter Cohen die Künstlerin und Sammlerin Margarete Umbach (1892 – 1960). Seine Frau war keine Jüdin, Cohen war zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits evangelisch getauft. Das Ehepaar wohnte in der Ehrenstraße 53 in Düsseldorf. Im Rahmen seiner Tätigkeiten baute er dort eine private Sammlung zeitgenössischer Kunst auf. In den 1920er Jahren fand Cohen innerhalb künstlerischer Kreise große Wertschätzung, die maßgeblich zur Förderung der zeitgenössischen Avantgarde beitrug. So schrieb die Düsseldorfer Zeitung am 31. Januar 1921 von Walter Cohen als „dem besten Kenner unseres heimischen Privatbesitzes an alter Kunst“. Um 1922 verfasste Walter Cohen einen handgeschriebenen Lebenslauf, als er einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis stellte. Cohen fungierte auch als Herausgeber der Reihe Kunstbücher deutscher Landschaften, die ab 1924 im Verlag seines Vaters veröffentlicht wurde. Unter seiner Tätigkeit als Kustos fiel auch die Neueröffnung des Museumsgebäudes am Ehrenhof 1928.

Ab 1933 trat mit dem nationalsozialistischen Regime eine grundlegende Wendung in seinem Leben ein. Obgleich seiner christlichen Taufe und protestantischen Erziehung wurde er am 7. April 1933 nach § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums als „Nichtarier“ aus seinem Berufsleben verdrängt. Als zusätzlicher Vorwand diente den Nationalsozialisten auch seine angeborene hochgradige Schwerhörigkeit. Dieser Schritt führte nicht nur zum Verlust seines Beamtenstatus, sondern auch zu erheblichen Kürzungen seiner Pensionsansprüche. Seine Klage auf Wiedereinsetzung in den Dienst wurde abgelehnt. Nach einem Schlaganfall im Januar 1937 erlitt der erst 57-jährige Cohen eine vorübergehende Lähmung. Unter dem Druck dieser extremen Belastungen zerbrach zudem seine Ehe mit Margarete Umbach. Im Mai 1942 sollte die Ehe schließlich offiziell geschieden werden.

Walter Cohen erzielte nach seiner Entlassung einen Teil seines Lebensunterhalts als Kunstsachverständiger durch die Erstellung von Expertisen. Er wohnte bis zum 16. Februar 1940 in der Steinstraße 60 und zog dann in das Haus Schwanenmarkt 3. Das Haus gehörte der jüdischen Familie Levison. Im Zuge eines Prozesses, der sich um eine Expertise und den fragwürdigen Kunsthändler Robert Schuppner drehte, wurde Dr. Walter Cohen von den Nationalsozialisten der Bildfälschung sowie der Beihilfe zum Betrug beschuldigt. Durchzogen von antisemitischen Vorurteilen wurde ihm unterstellt, potenzielle Käufer mittels gefälschter Expertisen zum Erwerb von Kunstwerken zu verleiten. Schuppner hatte Cohen im Februar 1940 um eine Expertise zu einem Gemälde gebeten und diese manipuliert, indem er das Datum entfernte und das Dokument rückdatierte, sodass es den Anschein erweckte, Dr. Walter Cohen habe es in seiner Zeit als Kustos an den Düsseldorfer Städtischen Museen verfasst. Zudem wurde Walter Cohen vorgeworfen, nicht mit dem ihm von den Nationalsozialisten auferlegten Zwangsnamen „Israel“ unterschrieben zu haben. Aufgrund des Vergehens „gegen § 6 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 1.7.1937 in Tateinheit mit Vergehen gegen § 3 und 4 der zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938“ wurde Walter Cohen zu einer Gefängnisstrafe von 9 Monaten und einer Geldstrafe von 300 Reichsmark, ersatzweise zu weiteren 30 Tagen Gefängnis, verurteilt. Während des Prozesses war Walter Cohen aufgrund seiner fortschreitenden Schwerhörigkeit nur mit größten Schwierigkeiten in der Lage, dem Vorgetragenen zu folgen. Er litt unter nahezu vollständiger Taubheit, Arteriosklerose und den Folgen des Schlaganfalls.

Walter Cohen wurde am 27. Februar 1941 verhaftet und verbrachte dreizehn Monate in Untersuchungshaft. Nachdem er schließlich vom Vorwurf der Bildfälschung freigesprochen wurde, verblieb Cohen trotzdem in „Schutzhaft“ und wurde am 21. Juli 1942 in das Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er unter der Häftlingsnummer 32562 registriert wurde. Zusätzlich erhielt er die Bezeichnung „ASR“ („Arbeitsscheue Reich“). Die Verhaftung von „Asozialen“ ging auf den „Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vom 14. Dezember 1937 zurück. Damit wurde die Vorbeugehaft für sogenannte Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher reichsweit vereinheitlicht und auf Personen erweitert, die durch ihr „asoziales“ Verhalten die Allgemeinheit gefährden würden. So konnten auch vorbestrafte Juden in KZ-Haft genommen werden. Laut Akte verstarb Dr. Walter Cohen im KZ Dachau im Alter von 62 Jahren am 8. Oktober 1942 um 15:10 Uhr an einem Herz-Kreislauf-Versagen infolge eines Darmkatarrhs. Aus den Akten lässt sich erahnen, dass die extremen hygienischen Bedingungen, die Mangelernährung sowie wiederholte Typhusepidemien im Lager zu seinem Tod führten.

Ein erheblicher Teil seiner wertvollen Sammlung zeitgenössischer Kunst ging während des Zweiten Weltkriegs im Zuge einer militärischen Sprengung verloren. Es ist jedoch seiner ehemaligen Frau, Margarete Umbach, zu verdanken, dass ein Teil der Sammlung Cohens für die Nachwelt erhalten blieb. Ihr Engagement trug maßgeblich dazu bei, die künstlerischen Werke zu bewahren und sie der kommenden Generation zugänglich zu machen. Die Würdigung von Walter Cohens Leben und Werk fand ihren Ausdruck in der Sonderausstellung „entartet – zerstört – rekonstruiert“, die im Burgsaal der Wewelsburg stattfand. Diese Ausstellung widmete sich der Kunst, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert, beschlagnahmt und vernichtet wurde. An einem Ort, der symbolisch für die Ideologie des NS-Regimes steht, wurden die Werke verfolgter Künstlerinnen und Künstler erneut sichtbar gemacht. Durch diese Präsentation erhielten die verfemten Künstlerinnen und Künstler eine Stimme. Die Ausstellung setzte ein klares Zeichen gegen das Vergessen und unterstrich die Unvergänglichkeit der Kunst. Sie zeigte eindrucksvoll, dass die Werke der Verfolgten und das Wirken Walter Cohens bis heute kraftvoll nachwirken.

Autor: Jürgen Woznitza, Förderkreis der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf